Dienstag, 3. Oktober 2017

Kultur - für mich -



Astrid Ka fragt diesen Monat , was für uns unsere Kultur ausmacht.

I

"Kunst ist Waffe" war das Allererste, was mit beim Lesen
 ihrer ersten Sätze so durch den Kopf ging.
Eine Ansicht, die gewisz nicht auf dem Boden der DDR gewachsen ist,
 aber dort eifrig zitiert und praktiziert wurde.
Mittlerweile sind viele der teils unfreiwillig komischen Werke verschwunden
 und wer liest heute noch KuBa oder Rose Nyland?
Auch die Denkmale wurden gestürzt und eingeschmolzen,
 was ich nicht in jedem Fall gut finde.
Man könnte ruhig etwas mehr zu seiner Vergangenheit stehn!

Und ganz und gar wütend hat es mich gemacht, als das 1973 fertig gestellte, schöne helle moderne Schulgebäude, auf das alle so stolz waren (ja, auch ich, trotz traumatischer Schulzeit!)... in der Zeitung als Bausünde der DDR bezeichnet, einfach abgerissen wurde. Grrrrrrrrrr!


II

Überhaupt: "unsere" - was meint das eigentlich genau?
Als Autistin kenne ich kein Wir-Gefühl, und zugehörig fühle ich mich eigentlich nirgends.
Zu keiner Gruppierung oder Szene, zu keiner Sippe 
und schon gar nicht zum deutschen Volk.
Auch wenn ich hier geboren bin.

Der Geburtsname meiner Mutter klingt französisch, zurückzuverfolgen ist der Stammbaum nach Belgien und der Groszvater kam aus Westfahlen nach Halle/Saale, wo er erst einen Lehrauftrag, später eine Werkstatt und eine Familie hatte.
Ich selbst kam im Harz zur Welt, wohin es meinen thüringer Vater 
im Zuge der Absolventenlenkung nach dem Studium verschlug 
(konnte man idR nicht frei wählen seinen künftigen Arbeitsort).
Aber so schlecht hatten es meine Eltern damit ja nicht getroffen.

Ich kenne keine Zugehörigkeit und keinesfalls fühle ich mich als Deutsche.
Da fehlt mir einfach die Identifikation,
vielleicht auch durch das immer noch zerrissene Land.
Am ehesten bin ich wohl ein "Ossi".
Mit einer Seele, die sich irgendwo in den Weiten Ruszlands verliert,
 die ein Heimatgefühl weniger in der Geographie,
 sondern mehr in Sprachen empfindet.
In den slawischen, seltsamerweise...und: ja, in der Deutschen auch.
Muttersprache eben.

Die ist mir schon sehr wichtig und es schmerzt, all diese Reformen zu erleben, die plötzlich etwas anders zu schreiben diktieren... und sogar die Grammatik umkippen (ich bastel, statt ich bastele, ich blätter um statt ich blättere - sowas bringt mich zur Verzweiflung!)... und am allerschlimmsten diese Verkürzung und Versimplung der Sprache durch Facebook, Twitter und co.

Der Reichtum, der immer mehr verloren geht.
Da musz ich dann doch öfter wieder zur Literatur der Goethezeit Zuflucht nehmen, einen Brief der Bettina von Arnim lesen... endlich wieder Spachgenusz haben.
Verlorene Wörter wiederfinden.


III

Das Grundgesetz gilt nun bald genauso lange für mich, 
wie seinerzeit die Verfassung der DDR.
Nicht, dasz mich das bisher sonderlich interessiert hat.
Alles, was "von oben" kommt, ist zu oft einfach Diktat und Zwang gewesen,
 als dasz ich überhaupt viel darüber nachdenken möchte.
Nachdenken (gerade in meiner jugendl. Weltentdecker-und Sinnsucher-Phase)
 war nicht erwünscht, wurde mir ausgetrieben.
Es konnte sehr gefährlich sein.
Nur eine einzige ehrliche, nachdenkliche Äuszerung... hatte manchmal fatale Folgen.
Also eingedenk der eigenen Unversehrtheit lieber das Nachdenken abgewöhnt.
Und schwierig, solche Gewohnheiten später wieder abzulegen - - -


IV

Frauenbewegung ist auch etwas, wozu mir der Bezug fehlt.
In einer Welt, wo Arbeit selbstverständlich für alle war 
und natürlich auch für den gleichen Lohn.
Wo sich alle über Arbeit definierten, waren Frauen 
irgendwie anders sozialisiert als ihre westlichen Schwestern.

Nach der Wende die EMMA abonniert, konnte ich letztendlich nur wenig damit anfangen und war befremdet ob des aggressiven, auf mich intolerant wirkenden Stils.
Ein kurzzeitig erscheinendes Pendant im Osten (Ypsilon) 
konnte sich nicht halten im Blätterwald.

Sprachspitzfindigkeiten wie ZuschauerInnen und späteres Gender Mainstreaming 
verinnerlichte ich nicht. Ich rege mich nicht über Begriffe wie Kontoinhaber auf.
 Da hab ich doch wirklich andere Sorgen!

Ich sage nicht History oder Herstory, ich sage Geschichte.
Und das kann seine oder ihre oder meine sein.
Worte haben für mich eher Neutralität als Geschlecht in sich selbst.


V

Was also ist für mich "unsere" Kultur?
Im Positiven sind es die Fachwerkhäuser, die Kirchen und Dome, 
Schlösser, Parks und Gärten.
Kulturgut, das gepflegt wird.
Oder verfällt.
Schöne Alltagsgegenstände. Handwerk. Kleidung.
Minnegesang und Lyrik früherer Zeiten.
Barden, Musik, Instrumente, Komponisten durch die Epochen.
Auch da ist der Einflusz "fremder" Völker und Kulturen schon frühzeitig nachzuweisen.
Leider waren es oft Kriege, die diese Einflüsse mitbrachten.
Kriege - der fast einzige Weg fürs einfache Volk zu Reisen...(da lob ich mir die heutigen Verkehrsmittel und Möglichkeiten!).


VI

Bücher und Handschriften, in Klöstern gemacht.
Stundenbücher von einzigartiger Schönheit!
Auch die sind nicht aufs deutsche Territorium beschränkt.


VII

Malerei. Plastik. Kunst und Kitsch.
Aberglauben. Alltagsgepflogenheiten.



VIII

Ostern, Pfingsten, Weihnachten sind für mich christliche Feiertage 
mit Ursprung in Nahost. Eingebürgert sozusagen.
Mag sein, dasz Osterhase und Weihnachtsbaum eine deutsche Erfindung sind.
Eine Nordwesteuropäische, würde ich eher sagen.
Und wohl eher Symbole aus vorchristlichen Zeiten, die man okkupiert hat, 
um die alten Bräuche in christliche Bahnen umzuleiten.
Als typisch deutsch sehe ich das nicht.
Das sind dann höchstens die Bilder von Ludwig Richter.


IX

Da ich hauptsächlich in englischsprachigen Blogs lese... entsteht bei mir 
der Eindruck, dasz wir hier eher wenig feiern.
So richtig schön und mit der Familie.
Amerikaner dagegen viel mehr.
Weihnacht, Ostern, Geburtstag haben wir auch.
Aber Thanksgiving, Independece Day, Veterans oder Labour Day - kommt hier irgendwer am 1. Mai oder heute zum 3. Oktober zusammen zu einem richtig schönen Familienfest?
Aber möglich, dasz mir da einfach die Einsichten 
und die Kontakte fehlen, um das wissen zu können -

Den Kölner Karneval kenne ich nicht und das Oktoberfest habe ich nie besucht.
Auch nicht den Wunsch danach verspürt.
Kann sein, dasz mir für Feiern irgendwie der Sinn fehlt (?)


X

Deutsche Küche mit Eisbein mit Sauerkraut, Tafelspitz oder Rolladen 
und Rotkohl gibt in meiner Küche nicht.
Da sind es eher Eigenkreationen aus zufällig von der "Tafel" bekommenen Dingen.
Gewürzt wird mehr orientalisch, asiatisch, wenn auch kein ganz scharfes Thai...
Kochen ist nicht meine Welt (auch wenn ich es hinbekomme) 
und spielt keine so grosze Rolle.
Und nach jahrelangem Schul-und Werkskantinenessen voll brauner Einheitssauche 
(oh welch miszverständlicher Begriff!)
 wähle ich zum Einkehren ausländische Lokale.
Eisbein-und sauerkrautfrei.


XI

Aufgewachsen und hängen geblieben in einer Kleinstadt, 
der man heute noch den Pietismus ihrer früheren Fürsten anmerkt...
 fühle ich mich hier oft ziemlich fremd. 
Was wohl nicht allein am Autismus liegt. - Oder doch?

Ich wünsche mehr Ausländer als als Nachbarn.
Der Umgang mit Fremden fiel mir oft irgendwie leichter. 
Und sie bringen eine Art Unbeschwertheit mit, die Deutschen oft abgeht.
Ich kannte mehrere Frauen von Balkan und habe sie deshalb besonders gemocht.
Mehr Fremde würden diesem Mikrokosmos meiner Umgebung hier nicht unbedingt schaden!

Ich sehe sehr wohl, dasz die heutige Entwicklung Probleme mit sich bringt
 und dasz wie nie mehr so sicher leben werden 
wie damals in unsere Welt hinter der Mauer.
Aber ich kann nicht sagen, dasz es mich besonders ängstigt.
So dasz ich keine Lobby brauche, die dagegen vorgeht.
Und keine deutsche Leitkultur.



XII

Ich achte die künstlerischen Werke aus Vergangenheit und Gegenwart. 
Aus allen Kulturen. Von der Frühgeschichte an.
Auch wenn ich nicht alle verstehe bzw. nicht jedes mich wirklich anspricht.
Auf jeden Fall ist es spannend, wie sich Kulturen unterscheiden, 
aber auch beeinflussen und vermischen.
Es ist toll, solchen Spuren nachzugehn.


XIII

Ich sage oft (scherzhaft): für mich gibt es nur die Kultur, die ich mir selber schaffe.
Ein ziemlich überheblicher Satz.
Aber im Kontext zu sehen: ich kenne keine Zugehörigkeit. Passe in keine Gesellschaft. 
immer "daneben" und auszen vor.
Und lebe wirtschaftlich am untersten Rand.
Alles Gründe, um restlos und nachhaltig abgeschnitten zu sein von allem, 
was den gängigen Lebensstil ausmacht, Kultur, Konsum und Genusz.
Essen gehen nur 2-3mal pro Jahr.
Keine (Bildungs-)Reise, kein Konzert, Theater, Vernissage... kein Seminar
 oder VHS-Kurs (die Interssanten sind autolos unerreichbar).
Da motiviere ich mich (bzw. wir uns als Paar) nur selbst jeden Tag aufs Neue, 
nicht unterzugehn.
Schönes zu genieszen, die Sonne, die gerade kurz rauskommt.
Bücher anzuschauen, Gedichte zu lesen.
Den einzig erreichbaren Klostergarten zu besuchen.
Besondere Plätze zu finden in der nächsten Umgebung.
Schattentheater mit den Händen an der Wand, Geschichten erfinden im Augenblick.
Selbst illustrierte Bücher. Blogposts. Picstories .
Spielen mit der Sprache. Wörter neu entdecken.
Musik hören. Digital und ausder Konserve.
Highlights sich schaffen im Alltag.
Sich seltbst etwas "los" machen, wo nichts los ist.

Ja, das Leben ist schön und ich wertschätze jegliche Form der Kultur.
Geniesze, was ich davon bekommen kann, wie ein Fest.
Ob unsere oder eure oder sonstjemandes: Kultur gehört allen 
und sie lebt und wächst mit allen.
Jeder nimmt sich, was er mag.
 Viele geben.
Das ist nun mal ihr Wesen.


(Gerne mitgemacht und sehr spontan geschrieben)

3 Kommentare:

  1. Ja, seeehr spontan, ich war total verblüfft! Und wie du weißt, schätze ich deine persönliche sicht auf die dinge, empfinde sie als bereichernd und meinen Horizont erweiternd. Und dann gerade an diesem Tag heute, mit lauter sehr persönlichen statements gerade im Radio...
    Ich kenne übrigens dieses Gefühl des Nicht-Dazugehörens auch, zumindest hat es lange angehalten, nachdem ich als Kind meine kindliche Heimat verlassen musste. Aber auf meine alten Tage schwindet es immer mehr, auch, weil ich immer mehr in mir selber ruhe.
    Hab's fein!
    Astrid

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  2. Hallo Mascha,
    ich muß gestehen, zur Frauenbewegung habe ich auch keinen Bezug, aber wir profitieren ja alles davon.

    Ich bin ein Großstadtkind aber in den Ferien auf dem Land aufgewachsen, bei einer Oma, die mit als 6. Kind nicht mochte, das war nicht ganz einfach aber, wenn ich zurückdenke, doch es hat mich auch geprägt, denn so, wie meine Oma wollte ich nie sein, dass ich meinen Enkel spüren lasse, dass ich ihn nicht mag.

    Aber ich habe von der Oma so viel gelernt und dafür bis ich trotz allem sehr dankbar.

    Lieben Gruß Eva

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