Montag, 5. Februar 2018

Stadt - Land - Verkehr



... ist der Titel einer Bloggeraktion zum besseren Verstehen der Unterschiede.
Es geht - gleich zu Anfang - um die Frage nach Autos und Verkehr.


 I

Ich lebe ökologisch voll im Trend, denn ich habe kein Auto.

Allerdings nicht, weil ich ein Öko bin, sondern weil ich mir einfach keines leisten kann.
Und es, aufgrund von Sehschwäche, auch nicht fahren dürfte.
Geht uns allen beiden so, mit der Sehschwäche,  folglich sind wir ein autoloses Paar.

Es gibt nichts in meinem Leben, was so dringend benötigt
 und so schmerzhaft vermiszt wird, wie ein Auto.
Oder ein paar Menschen, die uns gelegentlich mitnehmen.
Ein freundlicher Nachbar, der mal etwas sperriges Schweres 
vom Baumarkt mitbringt, denn der Stadtbus nimmt mich nicht mit, 
wenn ich auch nur einen einzigen Tomatenstab gekauft habe... 
Und Baumarkt ist sehr weit weg.
Vieles andere auch.

2016 wurden in meiner Umgebung drei Supermärkte geschlossen und der 
konkurrenzlos verbliebene Vierte ist so teuer, dasz ich da nicht einkaufen kann.
Wege werden also immer weiter, ich selbst aber nicht jünger dabei.

Ich nehme ja immer tapfer das Fahrrad, bergauf, bergab und bei 
fast jedem Wetter, anders geht es gar nicht.
Orientiere mich im Verkehr stark nach Gehör, fahre nur noch ganz genau 
bekannte Wege - ob eine Bordsteinkante hoch oder tief ist, 
kann ich nicht mehr erkennen.
Und vor einer neuen Baustelle stehe ich oft wie vor einem Aus. Sehe nicht, 
wo es da weiter geht. Oder vorbei. Aber was solls! 
Ohne Fahrrad ist der Alltag einfach nicht zu schaffen. Sind die Wege zu weit.

Mir graust schon sehr vor der Zeit, da ich auf den Stadtbus angewiesen sein werde:
 das wird zu teuer und mit Bus brauche ich in etwa die vierfache Zeit.
 Da ist die Wartezeit, wenn er nur aller Stunde einmal fährt, 
noch gar nicht mit inbegriffen.
Mein Fahrrad ist doch wenigstens ein kleines Stück Selbstbestimmtheit.

Ich könnte nie tragen, was ich alles schon mit Fahrrad bewegt habe. 
Bis zu 2 Stühle auf einmal oder Möbel, in Bretter zerlegt, einzeln - gehen tut alles!
 Und ich hab schon mal einen ganzen Umzug mit Fahrrad gemacht.
Wenn man das tut, weil man es musz... fühlt man sich am Ende allerdings 
nicht unbedingt groszartig oder stolz... sondern einfach nur: fertig!

II

Die Autos, die ich hier vom Fenster aus sehe, werden alle täglich benutzt. 
Ohne kommt man nicht zur Arbeit oder Kinder nicht zur Schule. 
Nicht jede Schule ist am Ort.
Ohne Auto kein Job. Nicht in unserer Region. Das habe ich selber zu spüren bekommen. 
Immer nur unterbezahlteste Hilfsjobs gemacht. Anderes war nicht zu kriegen.
Von wegen: Putzen geht immer! - Auch Reinigungsfirmen fragen gleich 
bei der Bewerbung nach dem Führerschein. 
Und das wars dann auch schon.

Jetzt bin ich ja in Rente, hab das Problem nicht mehr.
Hätte gern mal einen Job gehabt, der mir Spasz macht und meine Fähigkeiten fordert.
Gegeben hätte es den schon, nur ohne Auto nicht machbar.
Eine Ausbildung muszte ich abbrechen, weil nach Trägerwechsel 
der Ort gar nicht mehr zu erreichen war.

III

Im Frühjahr 2011 kam mein Gefährte hierher aus der Groszstadt.
Gesehen von der Umgebung hat er bis jetzt noch fast nichts.
Dabei ist es eine reiche Region mit ganz vielen schönen Orten.
Nur der ÖV läszt sehr zu wünschen übrig, 
die frühere DDR-Infrastruktur gibt es nicht mehr.
Bahnlinien still gelegt. Und  wozu noch Busse? 
Haben ja eh alle ein Auto!

Schatz kennt fast alles nur aus meinen Erzählungen, aus einer anderen Ära.
Habe das alles selbst seit über 25 Jahren nicht mehr gesehn...
Heute fährt am WE kein extra Ausflugsbus. Heute fährt meist überhaupt keiner.
Und schon gar nicht abends nach einem Konzert wieder retour.

Wir haben mal ÖV-Verb. gesucht, um eine knapp 50 km entfernte Anlage aufzusuchen. 
Ja, es geht: paarmal umsteigen, dauert den ganzen Vormittag 
und kostet ein Schweinegeld, weil man die Tarifzonen ja mehrfach 
durchfährt und jedes mal neu bezahlen musz.
Kommt man endlich ans Ziel, kann man dort nur 15min später 
in den Retourbus einsteigen, sonst kommt man abends nicht mehr nach haus.
"Da bin ich ja schneller und billiger in Berlin", war sein Kommentar.
Stimmt. Die Bahn schafft 225 km schneller und zum Sparpreis gehts auch.
Also no way. Zuhause bleiben.
Auf all die schöne Kultur, Theater, Museen, Parks, Gärten etc. verzichten.

"Alles nur Luxusproblemchen!" bekomme ich manchmal von Autofahrern(!) gesagt.
Stimmt natürlich. So gesehn.
Kein Mensch braucht Kultur.
Man kann sich allemal mit einem Buch auf eine sonnige Bank setzen.
Dankbar sein. Achtsam.
Oder Schattentheater machen mit den eigenen Händen.
Ist doch viel kreativer als ein Theaterbesuch, wo man nur konsumiert!

IV

Teilweise gehts wirklich an die Substanz. Wenn Fachärzte nicht konsultiert werden 
können, dringend nötige ambulante Einriffe nicht vorgenommen, 
weil ich danach nicht ÖV-reisefähig bin.
Wenn Notdienste am WE unerreichbar sind. 
Denn sie sind oft sogar über mehrere Landkreise verteilt.
Hat mich seinerzeit ein Auge gekostet, als ich mit aggressiver Entzündung 
im Augeninneren in die örtl. Notaufnahme tappte und dort erfuhr: 
Bereitschaftsarzt ist in N.  Heute von 10 bis 12.
Tjaaaa, das ist ja nun ihre Sache, wie sie dahin kommen!

Weitere Beispiele erspare ich Euch und mir selbst.

V

Man mag über Autos, Blechlawinen, CO2 und Verkehrslärm 
denken wie man will (auch ich leide mit meiner angeborenen Reizfilterschwäche 
enorm unter Straszenverkehr!), aber ich freue mich für jeden Jugendlichen 
aus gut funktionierender Familie, der zum 18. Geburtstag die Fahrschule 
geschenkt bekommt und vielleicht noch das erste Auto 
von Eltern/Groszeltern gesponsert.
Ein guter Start in ein freies und selbst bestimmtes (Berufs-)Leben!

Und bis hier mal vernünftige (und für alle Schichten bezahlbare) ÖV-Strukturen
 geschaffen werden, wird es wohl noch lange dauern.
Wenn überhaupt.


VI

Mein Profil in einem Netzwerk mit eher unspieszigen interessanten Menschen
habe ich inzwischen deaktiviert und ich schaue dort nicht mehr rein.
Zu traurig macht es mich, zu lesen, wie sich nur 50-80 km weiter 
Leute zum Konzert treffen, auf dem Weihnachtsmarkt oder
 sommers zum Baden im See.
Und selbst immer nur ausgeschlossen zu sein ohne Mobilität.

Ich hab meine kleine Welt hier, die grad wieder noch mehr schrumpft durch
den  Schneefall... und mit zunehmendem Alter und Sehschwäche sowieso.
Aber es bleibt mir ja nix, als das Beste draus zu machen.
Mache ich schon mein Leben lang. 

*

Sorry, wenn das jetzt alles zu negativ ankommt.
Ich hab lange überlegt, ob ich mitmachen sollte - oder lieber nicht?
Denn eigentlich sollte solcher Alltagskram niemals Eingang in meinen 
Blog finden. Der was ursprünglich für Schönheit reserviert - 

Bin aber gespannt auf die nächsten Fragen. 


6 Kommentare:

  1. ...mobility and eyesight are two things that don't take for granted.

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  2. hier bei uns auf dem land ist das alles ähnlich. vor 20 jahren hatten wir noch eine gute busverbindung in die stadt und diverse geschäfte. heute ist alles zentralisiert und ohne auto oder freunde mit auto ist man wirklich rettungslos verloren.
    liebe grüße
    mano


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  3. Dass du das hier schreibst, ist wichtig, denn es macht doch die krassen Gegensätze deutlich, die es hierzulande zwischen Stadt & Land gibt.
    Klar ist mein Schwerpunkt ein ganz anderer, den meine Atemwege sind durch das Leben in schadstoffhaltiger Luft seit fast 50 Jahren stark in Mitleidenschaft gezogen, alles ist vollgestellt mit diesen Blechkisten, jeder schöne Platz, jedes kleine Paradies. Aber dafür kann man mit dem Auto alles erreichen. Und der Verzicht darauf bedeutet nur eine gewisse Einschränkung in der Großstadt.
    Das ist eine Entwicklung, die eigentlich viel besser bedacht werden müsste in einer Gesellschaft, die nicht auseinanderbrechen will.
    LG
    Astrid

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  4. Es liest sich doch ein wenig duster, aber man spürt auch, dass du in der Einstellung lebst, das Beste daraus zu machen. Und ich denke es immer so: Alles hat seine Vor- und Nachteile .. wobei ich das jetzt auf die LAGE beziehe. Nicht mehr gut zu sehen, ist ein Schicksalsschlag. Das ist eine andere Sache.

    Ich bin dir sehr dankbar, dass du mitmachst, denn ein Leben wie du es führst, den Herausforderungen, denen du dich stellen musst, das ist bei vielen Leuten eben ganz anders. Und wenn ich deine Beiträge lese, dann lerne ich. In vielerlei Hinsicht!
    Danke dir dafür!
    Und: es kommen noch Themen, die positiver sind. Verkehr und so, da ist nicht viel Gutes zu finden.
    GLG aus Wien
    Susanne

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  5. Ja - Du hast vollkommen recht - ohne Auto am Land ist doof. Das ist die Kehrseite der Beschaulichkeit und Ruhe.
    Wir haben hier in der Nachbarschaft ein älteres Ehepaar ohne Auto seit immer.
    Wir nehmen sie aber oft mit zum Großeinkauf oder chauffieren sie mal zu einer speziellen Untersuchung oder in den Blumemarkt etc. Sie sind dankbar dafür und daraus hat sich auch eine richtiggehende Freundschaft im Laufe der Zeit entwickelt.
    Schade dass Du niemanden kennst, der Euch da behilflich ist. Das tut mir leid Mascha. Aber ich denke DU bist nicht nur eine tolle Künstlerin mit Papier sondern auch ein große Lebenskünstlerin! Lässt Dich nicht einschränken in Deinem Denken und Tun! Das ist es was zählt!!!!!
    Eine gute WOche wünsche ich Dir!

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  6. Über diese Aktion bin ich hier gelandet. Was Du schreibst, ist alles sehr interessant, auch wenn es düster scheint, so ist es früher oder später doch die Perspektive eines jeden, der auf dem Lande lebt. Noch kann ich Auto fahren. Noch bin ich fit. Doch wenn das einmal nicht mehr ist, wird es mir wie Dir gehen. Wie komme ich zum Arzt? Wie komme ich zu etwas Essbarem? Es ist traurig genug, dass bei der Planung Infrastruktur niemand daran denkt, dass es auch Menschen ohne Auto gibt, die nicht mehr jung, eingeschränkt sind, aber troztdem noch ein selbstbestimmtes Leben führen möchten. Doch Du machst das Beste daraus und dafür hast Du meine Hochachtung.
    Lieben Gruß
    Katala

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