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Freitag, 6. Juni 2025

Schule. Anders, als sie heute zu denken ist.

 

"Schule anders denken" heiszt die Blogparade bei Gabriella Rauber.

 


Eigentlich hab ich dazu nichts zu sagen, denn ich bin weder Lehrerin,
noch habe ich ein schulpflichtiges Kind, noch besonders viel Ahnung, 
wie Schule heute ist. Hier in diesem Land, das früher nicht das meine war.
Ich habe auf Gabrielles Blog schon viel gelesen, was ich mir seinerzeit 
nie hätte träumen lassen und ich verfolge auch mit Interesse den
Schreibenblog ihrer Schüler. Das gibt mir ein wenig Einblick.
 
Ich denke, es könnte gut sein, mal einige Erinnerungen aufzuschreiben
 an meine damalige Schulzeit und das Bildungssystem in der DDR.
Es wird ja oft über die DDR geredet...aber wer im Westen weisz schon 
wirklich, wie unser Alltag war?
 
*

Ich habe von 1966 bis 1976 die Schule besucht.
Es gab damals keine Grund-und Sekundarschule, Hauptschule oder sonstiges,
es gab eine für alle: die zehnklassige "Polytechnische Oberschule". POS.
Es war das Ziel, dasz möglichst alle Schüler den Abschlusz der 10. Klasse bekommen
 und danach in eine Berufsausbildung starten.
Wer sehr grosze Schwierigkeiten hatte, oder durch mehrfaches Wiederholen
von Klassenstufen einige Jahre älter war, konnte nach der 8. Klasse
mit einem Abschluszzeugnis ins Leben gehen. Auch damit war eine 
Berufsausbildung sicher gestellt, denn jeder in der DDR hatte Anspruch auf
eine Ausbildung und einen entsprechenden Arbeitsplatz.
Und jeder sollte (muszte) einen Facharbeiterabschlusz erreichen,
früher nannte man das Gesellenbrief.
Aufgeben und die Ausbildung abbrechen, das kam damals so gut wie nicht vor.
Die Ausbildung selbst hiesz Lehre und ein Azubi 
wurde Lehrling genannnt.

Zwei bis drei Kinder pro Klasse hatten die Möglichkeit, nach dem 
achten Schuljahr in die "Erweiterte Oberschule", kurz: EOS, zu wechseln
und nach 12 Schuljahren das Abitur auf direktem Weg zu machen.
Danach war ein sofortiges Studium möglich.
Diese Schüler wurden jedoch oft nach politischer Linientreue der Eltern 
ausgesucht, oder wer sich zu einem erweiterten Wehrdienst in der NVA
verpflichtete. Das betraf nur die Jungen.
Wer nicht in der EOS zum Abitur kam, konnte allerdings eine
Berufsausbildung mit Abitur wählen oder dieses in der Abendschule 
nachholen und  damit später noch die Hochschulreife erlangen.
 
Auszer diesen beiden Schulen gab es noch eine Hilfsschule
und eine Berufshilfsschule (ja, die hiesz ganz offiziell so).
Einrichtungen wie Lebenshilfe-Werkstätten brauchte die DDR nicht.
Es wurde auch Menschen mit Handicap eine den Fähigkeiten entsprechende
Ausbildung und ein regulärer Arbeitsplatz mit normalüblicher
Bezahlung geboten und sie auf diese Weise ganz selbstverständlich integriert.
 
 
*
 
Die Schule selbst war ein streng hirarchisches autoritäres System.
Oben stand der Direktor, ihm waren die Lehrer unterstellt.
Der Unterricht hatte exakt nach Lehrplan des Volksbildungsministeriums
zu erfolgen und eigenmächtige Änderungen oder kreative Unterrichtsideen 
jeglicher Art waren so gut wie ausgeschlossen, selbst das Umstellen 
der in Reihen hintereinander angeordneten Bänke im Klassenraum 
war untersagt. Lehrer hatten wenig Spielraum
und an "anders denken" war damals nicht zu denken!

Eine Klasse hatte im Durchschnitt 30 Schüler, wir waren am Anfang
 33, eine Parallelklasse hatte sogar 37 Schüler.
Lehrer waren als absolute Respektspersonen zu betrachten.
Okay, einige wenige hatten es trozdem nicht leicht, sich Respekt zu verschaffen
und einige andere hatten sich diesen Respekt ehrlich verdient.
Dann gab es an jeder Schule noch die Pionierleiterin. Bei uns war es eine 
ältere erfahrene Pädagogin, zu der man mit allen Sorgen kommen konnte.
 Auszer der Politpropaganda war sie eine Art Schulsozialarbeiterin.
Wie oft die Kindersorgen zur Beobachtung des Elternhauses durch die Stasi
führten, wage ich nicht zu beurteilen, gegeben hat es das auf jeden Fall.
Schulpsychologen, Schulbegleiter, Assistenten o.ä. gab es nicht.
 
Die angenehmste Gestalt in meiner Schule war die Sekretärin:
eine kleine ältere, von Kinderlähmung gezeichnete Frau, die Kinder liebte. 
Sie verwaltete auch den Sanitätskasten und versorgte sämtliche
auf dem Schulhof oder beim Sport zugezogenen Verletzungen.
Sie klebte als Trost immer besonders grosze Pflaster auf  und nannte
die Kinder oft liebevoll "kleines Huckeduster".

 
*

Das erste, was einem Erstklässler beigebracht wurde, war Disziplin.
Gerade sitzen, Hände auf die Bank, Arme nicht verschränken,
ruhig sein. Bei Meldung nicht mit den Fingern schnipsen.
Nicht mit dem Stuhl kippeln, nicht zum Fenster rausschauen oder heimlich
Bonbons essen, nicht schwatzen, nicht herumspielen oder kritzeln. 45 Min. lang.
Für Sechsjährige eine Herausforderung, aber das muszte eingehalten werden
und man verinnerlichte das sehr schnell.
Wer eine Federtasche besasz - oftmals der ganze Stolz - muszte diese im Ranzen 
lassen. Nur der Füllhalter, Bleistift, Lineal wurden oben auf der Bank in ein
flaches Kästchen gelegt, evtl. noch der Zirkel oder was zur jeweiligen Stunde 
nötig war. Den Sinn dieser Regel konnte ich nie so recht begreifen.
Ich hatte aber auch keine Federtasche, sondern ein hölzernes 
Griffelkästchen, das ich sehr liebte. Geschrieben wurde grundsätzlich 
mit Füllfederhalter, Kugelschreiber waren in der Schule verboten.

*

Der Schultag fing um 7:00 früh an und fast alle, 
auch die Lehrer, kamen zu Fusz oder mit Fahrrad.
Die Eltern waren normalerweise beide berufstätig und verlieszen genauso
 früh das Haus, um teils mit betriebseigenen Schichtbussen zur Arbeit zu fahren.
Ein Auto hatten sowieso die wenigsten, dafür gab es aber eine
ausgezeichnete Verkehrsinfrastruktur.
Schulbusse waren allerdings kaum nötig, denn fast jedes Dorf hatte seine 
eigene Schule, und wenn sie noch so klein war. 

 
Das Schuljahr begann am 1. September nach fast 9 Wochen
Sommerferien und dann wurden auch die Schulanfänger eingeschult.
Einige ältere Schüler wurden zu "Schülerlotsen" ausgebildet und sie halfen 
den Kleinen auf dem Schulweg und beim Überqueren von Straszen.
 
In den Klassen stellte sich bald heraus, wem das Lernen leicht- und 
wem es schwerer fiel. Daher wurden den guten Schülern "Lernpatenschaften" 
zugeteilt. Ich habe meine Hausaufgaben einige Jahre lang gemeinsam 
mit einem Klassenkameraden gemacht, der so auch
das Klassenziel erreichte und versetzt werden konnte.
 
Unterricht war generell an 6 Tagen die Woche, der Samstag war ein
normaler Schultag, wo man 4-5h Unterricht hatte. 
An anderen Tagen waren es bis zu 7 Stunden.
Erst in der Zeit des Umbruchs bzw. der Grenzöffnung wurde der Samstag als
Schultag abgeschafft, weil viele Schüler einfach samstags nicht mehr
hingingen, sondern lieber mit den Eltern "in den Westen" fuhren.
Das war hier kein Aufwand, wir leben ja im Grenzgebiet.
Früher wäre jedoch an solche kleinen "Revolutionen" nicht zu denken 
gewesen. Dazu war alles viel zu autoritär.

Nach der Schule gab es das Angebot der kostenlosen Hortbetreuung 
bis zum späten Nachmittag. Das war für Familien gedacht, wo den ganzen Tag 
niemand zuhause war. Mit Hilfe einer ausgebildeten Hortnerin wurden so 
auch die Hausaufgaben erledigt. Davon gab es jeden Tag mehrere, 
in fast jedem Fach, auszer Sport.
Ich bin selbst nie in den Hort gegangen.
 
Ganztagsschulen gab es auch, in unserer Stadt war mir jedoch keine bekannt.

Das Schulessen war bei uns von guter Qualität und kostete pro Portion 
55 Pfennig. Für Familien mit drei oder mehr Kindern war es ganz und gar
 umsonst, unbürokratisch und ohne besondere Antragstellung.
Irgendwann mal von den Eltern ein entsprechender Zettel angekreuzt,
und unterschrieben, das genügte.
 
Ebenso konnte man die Schulbücher mit einem Bestellzettel im Buchladen
 kaufen  oder man bekam sie am 1. Schultag als Freiexemplare in der Schule
ausgeteilt, je nachdem, was man angekreuzt hatte.
Diese kostenlosen Bücher standen jedem Kind zu, unabhängig vom Einkommen
der Eltern. Meine gehörten zu denen, die das nicht annehmen wollten (obwohl 
wir sehr knapp dran waren) und sie schickten mich mit dem nötigen Geld 
in den Buchladen. Es war aber auch nicht allzu viel:
 ca. 2-3 Mark pro Buch. Eher weniger.

*


Mein erstes Schuljahr erlebte ich in einer alten, märchenhaft anmutenden 
ehemaligen Fabrikantenvilla, welche als "Haus der Pioniere" fungierte.
Umgeben von einem Park mit alten Bäumen und einem Spielplatz.
Dort spielte war ich schon vor der Schule fast täglich, denn ich wohnte 
gleich nebenan. Die Umgebung war mir also vertraut und das war gut so.
Zwei Klassenräume waren da eingerichtet und besonders die Pausen, 
in diesem Park, waren wunderschön. 
So liesz sich der erste Schulstresz gut kompensieren.
Meine erste Lehrerin war eine liebevolle erfahrene Pädagogin,
an die ich mich gern erinnere. Sie erreichte mehr durch Lob als durch Tadel.
Und sie verstand es auch, Toleranz und Verständnis für jede Art von
Andersartigkeit zu wecken. Mit ihr als Klassenlehrerin ging es mir die 
ersten drei Schuljahre ziemlich gut.
Ich ahnte noch nicht, was später folgen sollte, in einer Schule, die vor allem 
auf Gleichschaltung ausgerichtet war und jegliche Normabweichung
vehement auszumerzen versuchte.
 
*

Nach dem ersten Schuljahr war es aber auch schon vorbei mit dem 
schönen Klassenraum und wir muszten runter in die Baracke.
Das war ein Schulprovisorium mit sechs Klassenzimmern.
Da diese nicht ausreichten, wurden die Klassen auf drei weitere, zu
anderen Schulen gehörende Gebäude aufgeteilt. Je nach Verfügbarkeit.
Ein Raum unterm Dach der EOS war über stolze 78 Stufen zu erreichen
und als sogenannte Wanderklasse zogen wir mehrfach am Tage von einem 
Gebäude zum anderen, teils sogar nach jeder einzelnen Stunde.
Das Problem war, dasz sich unser eigenes Schulgebäude damals noch "in Planung" 
befand und es mehrere Jahre dauerte, bis wir ein ausreichendes Gebäude
bekamen. Bis dahin ging ich dann schon in die fünfte Klasse.
Das war keine so gute Zeit, diese ständige Umziehen-Müssen 
in Pausen von 5-10 Minuten.

Als besonderen Streszfaktor erlebte ich damals die Schul-Milch.
Jedem Kind wurde in der ersten Pause eine Viertelliterflasche Milch zur 
Verfügung gestellt. Das war nicht unbedingt ein Musz, wurde aber
sehr propagiert und da meine Eltern das gut fanden, gehörte ich auch zu den
Milch-Beziehern. Allerdings hatte ich mit sieben-acht Jahren noch Mühe, 
so viel Milch auf einmal auszutrinken und ich hatte auch immer Angst,
dann während der Stunde zur Toilette zu müssen.
Den Unterricht deswegen zu verlassen war damals nicht üblich und 
das getraute man sich auch gar nicht erst zu fragen.
Dafür war die Pause da und das konnte schon ziemlich quälend werden.
Aber Disziplin ist eben Disziplin. Und noch nicht einmal das Schlimmste.
Das Einpacken der Sachen nach einer Stunde und dann mit Ranzen, 
Turnbeutel, Anorak, Mütze etc. das Gebäude zu wechseln und dabei auch 
noch die offene Milchflasche mitzunehmen - das war für mich Stresz pur!
Die durfte aber auch nirgendwo vergessen werden, denn die leeren 
Flaschen muszten vollzählig wieder eingesammelt werden.

*

Etwas zu den guten Dingen der ersten Schuljahre:
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das für ausnahmslos jede Klasse so war,
 aber wir hatten eine sogenannte Patenbrigade. Eine Brigade aus einem 
volkseigenen Betrieb, in der meist ein Elternteil der Klasse arbeitete.
Die Patenbrigade lud uns in das Werk ein und zeigte uns, wie und was dort 
produziert wurde, einzelne Arbeitsplätze und viel Interessantes.
Sie luden uns zur Weihnachtsfeier und wir übten Lieder oder ein kleines
 Theaterstück für die Patenbrigade ein, gratulierten zum Tag der Bergarbeiter etc.
Bei der Organisation und Finanzierung von Wandertagen oder
 Klassenfahrten war die Patenbrigade aktiv dabei und es gab so manche schöne Überraschung. Zm Weihnachtsfest in der ersten Klasse - wir hatten gerade das 
mit dem Lesen so halbwegs begriffen - schenkte uns die Patenbrigade eine
 kleine Klassenbibliothek mit schönen Kinderbüchern, die dann reihum
von allen ausgeliehen werden konnten.
Für Wandertage und Klassenfahrten haben wir Kinder auch fleiszig
Altstoffe, Kastanien, Eicheln gesammlt. Der Erlös dafür kam
in die Klassenkasse. Dasz irgendein Kind nicht mitfahren konnte, weil Eltern 
das Geld nicht aufbrachten, war damals jedenfalls undenkbar.

*
 
Am 13. Dezember 1966, dem "Pioniergeburtstag" wurden wir Erstklässler
feierlich in die Reihen der Jungen Pioniere aufgenommen.
Wir sprachen das Gelöbnis, erhielten von den älteren Schülern ein blaues 
Halstuch umgebunden und bekamen einen Pionierausweis.
Mit Stolz war ich vorher zum Fotografen gegangen, um mein erstes Paszbild 
machen zu lassen und eigentlich erfüllte mich auch dieses gesamte 
Ritual mit Freude. So, wie es sein sollte.
 
Meine Mutter kommentierte das Ereignis allerdings mit den Worten: 
jetzt muszt du also zu den Pionieren, so wie ich früher zum BDM.
Sieh zu, Dich dort nicht hervorzutun und übernimm keine freiwilligen Aufgaben.
Solltest du etwas übernehmen müssen, dann mach es möglichst schlecht!
Mit solcher Diskrepanz zwischen Elternhaus und Schule, zwischen Gesinnung 
und verordneter Politik habe ganz sicher nicht nur ich leben müssen.
Das war in vielen Familien so eine Art passiver Widerstand.
 
Übrigens empfiehlt auch Timothy Snyder im Umgang mit Diktaturen, 
keinen vorauseilenden Gehorsam zu leisten.
Für ein Kind war das allerdings höchst irritierend.

*

Als ich in die fünfte Klasse ging, wurde endlich das Schulgebäude fertig.
In den Winterferien haben wir den Bau gesäubert und tagelang
Farbspritzer von den Fenstern abgekratzt. Das war freiwillig, aber viele 
Schüler und Lehrer machten mit und an den Wochenenden kamen auch 
zahlreiche Eltern zur Hilfe. Auch meine.
So konnte die Schule endlich eingeweiht werden: ein Domizil für 800 Schüler!
Der erste grosze Schulneubau in unserer Stadt
(mittlerweile als sozialistische Bausünde wieder abgerissen).

Grosze helle Klassenzimmer, zentralbeheizt.
Schöne Fachkabinette mit allerhand Unterichtsmaterial.
Die Umgebung und auch die angrenzende Turnhalle waren noch längere
 Zeit Baustelle und so muszten wir in den Hofpausen zwingend
am Kreisverkehr teilnehmen. Klassenweise in mehreren Reihen liefen wir unter Aufsicht der Lehrer langsam im Kreis herum, bis es zur nächsten Stunde 
klingelte. Keiner durfte sich dort individuell bewegen, das war eine
Sicherheitsvorschrift. Wir waren froh, als dies endlich vorbei 
und das Gelände fertig war.

Auf dem Vorplatz der Schule gab es samstags in der groszen Pause
einen Fahnenappell. Alle Klassen stellten sich in Blöcken auf, begrüszten 
den Direktor mit Pionier-bzw. FDJ-Grusz, es gab eine kurze Ansprache
zu Gedenktagen oder aktuellen Ereignissen...aber ganz so politisch,
wie das jetzt klingt, war es eigentlich nicht. Trotz der Pflicht zum
Tragen von Pioniertüchern oder FDJ-Hemden.
Es war eher eine organisatorische Veranstaltung mit Ansagen, die dann 
auch jeder gehört hat. Termine von Sportfest und Spartakiaden, Mathe-Olympiade,
Auszeichnung besonders guter Schüler, Beschwerden von Anwohnern betreffs
über den Gartenzeaun geworfener Pausenbrote... und was so anlag eben.

*
 
Nun endlich eine Schule mit eigenen Räumen, gab es dort auch bald 
allerhand Freizeitangebote, genannt Arbeitsgemeinschaften.
Und es wurde sehr darauf gedrungen, dasz sich jedes Kind an mindestens
 zwei Arbeitsgemeinschaften beteiligt. Da gab es Physiker und Biologen, Naturschützer, Zeichenzirkel, Modellbauer und zahlreiche Sportgruppen.
Man konnte auch eine extra Musikschule besuchen, ein Instrument lernen
 oder sich den örtlichen  Sportgemeinschaften anschlieszen, da gab es 
sogar Reitsport. Die Angebote der Schule und Musikschule waren kostenlos, 
andere Sportgemeinschaften nahmen einen Mitgliedsbeitrag 
von unter einer Mark im Monat
Jedes Kind hatte damit die Möglichkeit zur Freizeitgestaltung, ohne
die elterliche Haushaltskasse zu belasten.

Natürlich wurde das nicht von allen genutzt, und das gab dann öfter nervige Agitationsarbeit von seiten der Lehrer, wenn sich jemand verweigerte.

Für Kultur war auch gesorgt: das Städtische Sinfonieorchester gab 
regelmäszig Schülerkonzerte, die geschlossen von den Klassen besucht wurden.
Ein-bis zweimal pro Jahr gab es Bahnfahrten aller Schulen ins nächstgelegene Theater. Geld bezahlen brauchten wir dafür nicht.

Für die Klassen eins bis vier gab es in den Sommerferien die
sogenannten "Ferienspiele".
In zwei 3-Wochen-Durchgängen konnte man morgens zur Schule gehen 
um gemeinsam mit anderen den Ferientag zu gestalten mit Ausflügen, 
Geländespielen,Badeanstalt, Eis-Essen, Kino, Basteln und sonstigen 
Aktivitäten. Mittags gab es gutes Essen und nach der Mittagsruhe 
auch noch Tee und Kuchen. 
Am Ende der Ferienspiele stand ein schönes  Abschluszfest mit Lagerfeuer.
Jedes Kind durfte daran teilnehmen für den symbolischen Betrag von 1 Mark
für das alles, die ganzen drei Wochen lang.
Niemand war aus finanziellen Gründen von aktiver Feriengestaltung 
ausgeschlossen, so etwas kannten wir nicht.

*

Bei den Unterrichtsfächern ab der fünften Klasse gab es neben Deutsch, 
Mathe, Physik, Chemie, Biologie, Geschichte, Georgraphie, Musik, Zeichnen
 und Sport auch Russisch als Pflichtfach und Englisch freiwillig. 
Französich sollte eigentlich auch sein, aber dafür hatte unsere Schule
damals keinen Lehrer.
 
Die naturwissenschaftlichen Fächer mochte ich alle gern, in Mathe habe ich 
dann nur in der 10.Klasse rein gar nichts mehr kapiert, nachdem ich in 
unteren Klassen sogar bei der Matheolympiade Preise einholte...
Geschichte und Geographie waren sehr ideologisch geprägt und
ich fand sie langweilig. Gelernt wurde durch stures Auswendiglernen.
 
Noch schlimmer war der Deutschunterricht. Der hat mir die Freude an Sprache 
und Schreiben für lange Zeit gründlich verleidet. Das stundenlange Sezieren 
von Gedichten und Texten hat mir jegliche Freude daran verdorben.
Und die Schriftsteller, deren Werke Pflichtlektüre waren... 
habe ich später nie wieder angerührt!
Wir hatten allerdings auch eine besonders fiese Deutschlehrerin, die es 
liebte, Schüler systematisch fertig zu machen. Auf verschiedenste Art.
War jemand so ehrlich, sich vor der Stunde zu melden, dasz es das zur 
Hausaufgabe zu lesen aufgegebene Buch erst zur Hälfte geschafft habe... 
trietzte sie ihn die ganze Stunde lang mit Fragen, die er gar nicht 
beantworten konnte. Am Ende kam dann die dicke Fünf.

Der Zeichenlehrer war nicht viel besser und er brachte mir nur bei,
dasz ich einfach nicht zeichnen und malen konnte.
Freude wird so nicht geweckt und ich habe es dann noch viele Jahre lang
geglaubt! Bis ich sehr viel später zahlreiche Ausstellungen mit groszen intensivfarbigen Acrylbildern hatte.

Und Schreiben gehört ja heute bei mir auch dazu.
Das hat aber sehr sehr lange gedauert.

Die Sportstunden waren für mich ebenfalls ein Horror.
Ich war ja nicht unsportlich (ich war beim Ballett), aber dieser Feldwebel 
von Lehrerin mit Trillerpfeife und Kommandoton und absolutem Drill
erzeugte bei mir mehr als nur Widerwillen.
Meine Zensuren waren entsprechend schlecht und ich wurde regelmäszig 
dazu verdonnert, nachmittags die Fördergruppe für leistungsschwache 
Sportschüler aufzusuchen. Die Leiterin dieser Gruppe, dazu abgestellt, 
Chouchpotatos zu motivieren... fragte sich allerdings, wieso man mich 
geschickt hatte. Aber die Teilnahme war Pflicht und das wurde kontrolliert.
Nachsitzen in Sport sozusagen.
Auszerdem wurde ich oft von meiner Sportlehrerin gerüffelt, 
weil ich mir in Zeiten von Meisterschaften und Olympiaden "unsere" 
ruhmreichen (gedopten) Sportler nicht angeschaut hatte. 
Sie fragte jeweils zum Anfang der Stunde, wer gestern 
welche Medaille geholt hatte und das wuszte ich nie. Wir hatten keinen TV
und Sport interessierte mich nun mal nicht. Das sollte er aber, meinte sie.
 
*

Ab der 7. oder 8. Klasse gab es das Fach Staatsbürgerkunde. StaBü.
Das war ein echtes K*ckfach, welches nur aus Phrasendrescherei bestand.
Da gab es Hausaufgaben zu irgendeinem langweiligen Thema, 
da muszte möglichst viel dazu geschrieben werden. Da konnte man auch
gleich die Sätze aus der SED-Zeitung "Neues Deutschland" übernehmen.
Der Lehrer ging durch die Reihen und blätterte in unseren Heftern,
wie viele Seiten man jeweils geschafft hatte.
Ergo schrieb man die Einleitung mit der Überschrift und den Schluszsatz.
 Dazwischen wurden die Blätter vom letzten Mal wieder eingeheftet.
Das sah viel aus und paszte immer. 
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er das wirklich nie gemerkt hat oder
einfach nicht bemerken wollte - 
 
Es lag generell sehr viel am Lehrer, wie ein Fach ankam und interessierte. 
Später, in meiner Berufsschule, war StaBü nämlich gar kein K*ckfach mehr, 
sondern durchaus interessant und mit Gesprächen auf Augenhöhe. 
Vielleicht, weil der Lehrer, ein ehemaliger Polit-Offizier der NVA,
mehr an den Umgang mit Erwachsenen gewöhnt war?

*

In der 7. Klasse wurde auch UTP eingeführt.
Abkürzung für "Unterrichtstag in der Produktion".
An einen Wochentag aller 14 Tage gingen wir in einen der örtlichen Produktionsbetriebe "zur Arbeit". 
Keine Vollzeit - es waren nur jeweils vier oder fünf Schulstunden.
Ob wir den Betrieben eine echte Hilfe waren, wage ich zu bezweifeln.
Aber ich fand es interessant, die verschiedenen Produktionsprozesse erklärt 
zu bekommen und eine einfache Arbeit dort auch selbst zu tun.
Füllhalter zusammensetzen, Gehwegplatten aus Beton gieszen, an einer 
Drehmaschine Teile herstellen und polieren, Kleinteile sortieren und 
verkleben, Gütekontrolle...  die Betriebe wurden aller halbe Jahre 
gewechselt und die Klasse dafür in kleinere Gruppen aufgeteilt.
So konnte sich durchaus schon mancher Berufswunsch herausbilden.
Die andere Woche gab es jeweils 2 Stunden ESP (Einführung in die 
sozialistische  Produktion - eine lecht angweilige Theorie) sowie 2h 
technisches Zeichnen - das war wieder richtig gut!

Projektwochen oder Schülerpraktika gab es damals nicht.

*

Das Unterrichtsfach Wehrkunde ist mir unbekannt, das kam wohl erst später.
Für die vormilitärische Ausbildung war die GST zuständig, 
Wer sich für Sportarten wie Tauchen oder Segelfliegen interessierte,
konnte dort freiwillig Mitglied werden und diese erlernen.
Gelegentlich gab es in den höheren Klassen einen GST-Übungstag in Form 
eines Geländespiels mit Klettern, Luftgewehrschieszen, Handgranatenwerfen,
Tarnung etc. Aber das war eher unbedeutend bzw. wurde als willkommene
 Alternative zum Schulunterricht genommen.

In späteren Berufsschulklassen gab es dann schon mehrtägige
GST-Lager, die aber durch Zelten und Lagerfeuerromantik beliebt waren.

*

Sexualkunde wurde in ein bis zwei Biologiestunden der 8. Klasse
abgehandelt und beschränkte sich aufs rein Biologische.
Sonst wuszten wir ja eh längst Bescheid.
Homosexualität existierte nur ganz im Verborgenen, als unsachliches Getuschel 
hinter vorgehaltener Hand und es gab da sicher irgendwo ein Männerklo.
Das wurde mit Abscheu bewertet.
Lesben tauchten so gut wie gar nicht auf und mir war bereits als 12-13jährige
völlig klar, dasz davon niemals jemand erfahren darf.
Obwohl es laut Gesetz für Volljährige nicht strafbar war.

Erst ab Mitte der 80er kamen mit den "Sonntagsclubs" staatlich
geförderte  (und kontrollierte) Schwulengruppen auf.
Die erste offizielle Lesbenkonferenz fand im Frühjahr 1989 unter dem Dach
der Evangelischen Akademie und Leitung durch Pfarrer Jochen Tschiche statt.
Danach wurde sowieso alles ganz schnell ganz anders.
Die heutige Sichtbarkeit ist Resultat einer freien Gesellschaft.

*

Fremd-oder mehrsprachige Schüler gab es in meiner Schule nicht
und in der gesamten DDR wohl äuszerst selten.
Es wanderte niemand in die DDR ein und ausländische Gastarbeiter oder
 Auszubildende waren nur ohne Familien zugelassen und lebten streng 
abgeschottet von der einheimischen Bevölkerung. Persönliche Kontakte
oder gar Familiengründungen wurden damit meist erfolgreich verhindert.

* *


Ich denke schon, dasz uns die Schule damals einiges an Grundwissen
und. Allgemeinbildung vermittelt hat, was im späteren Leben sehr nützlich
war. Auch Selbstwirksamkeit, Hilfsbereitschaft und Erfolgserlebnisse 
waren nicht schlecht und das kostenfreie Angebot zur Förderung von 
auszerschulischen Interessen. Nicht alle Kinder bekamen da so 
viel im Elternhaus mit und die Eltern hatten durch Berufstätigkeit 
auch nicht immer genug Zeit dafür.
So übernahm die Schule einen groszen Teil der Erziehung und Bildung.

Schlimm bzw. kontraproduktiv waren oft die Zwänge
und Bestrebungen zur absoluten Gleichmacherei. Intolereanz, Mobbing,
Spitzelei bis hin zu kollektiven Gewaltexzessen gegen Auszenseiter waren die 
Folge und sie wurden durch manche Lehrkräfte sogar noch unterstützt.
 Kinder müssen es eben deutlich zu spüren bekommen, wenn sie sich 
nicht freiwillig einordnen (können).
Auf diesbezügliche persönliche Erlebnisse möchte ich hier nicht weiter 
eingehen - das würde den Rahmen des Beitrages sprengen.

* * *



Die ist ein persönlicher Erinnerungsbericht ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Es ist durchaus möglich, dasz ich einige Dinge als Kind anders wahrgenommen
habe, als diese "von oben her" gedacht waren bzw. dasz sich andere Schüler
von damals an andere Dinge erinnern, die mir nicht so wichtig waren seinerzeit.
Die Jugendweihe habe ich z.B. gar nicht erwähnt, sie bedeutete mir nichts
und zu lang sollte dieser kleine Exkurs ja auch nicht werden.

Und: ich habe bewuszt auf Gendern verzichtet und die originalen Begriffe
von damals verwendet. Auch wenn diese heute nicht mehr korrekt sind.
 

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für Deinen Einblick. Ich bin von 67-78 im Westen in der Schule gewesen. Da war doch einiges andres. Manches von dem was Du beschreibst, finde ich klasse: Ausprobieren der Produktion. Das im Kreis laufen, dagegen: unglaublich. Danke für den Einblick. Viele Grüße Andrea Sam

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  2. Der Punkt ist ja, dass wir alle Schulerfahrungen gemacht haben. Daher finde ich deine Gedanken dazu sehr relevant. Vor allem weil du, wie ich auch, in der Zeit des geteilten Deutschlands zur Schule gegangen bist. Als ich in der neunten Klasse war, bekamen wir eine neue Mitschülerin. Ihre Eltern waren mit ihr nach Westdeutschland umgesiedelt, ziemlich kurz vor dem Mauerfall. Im Nachhinein würde ich sie auch gerne nach ihren Erfahrungen fragen. Als Jugendliche hatte ich das nicht so auf dem Schirm. Aber das, was sie erzählte, war für uns andere teils sehr beklemmend.

    Bei der berufsüblichen Bezahlung von Menschen mit Behinderung habe ich kurz innegehalten, das wäre auch in der heutigen Bundesrepublik angemessener als die aktuelle Situation.

    Und Nachsitzen in Sport ist ja wirklich gruselig. Da wäre ich auch immer dabei gewesen, fürchte ich. Aus echtem Mangel an Talent im Schulsport und ich hätte es richtig schlimm gefunden.

    Liebe Grüße
    Angela

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