Ingrid war fleiszig gewesen. Wie es sich vor Weihnachten gehört.
Hatte das Haus geputzt und von altem Krempel befreit.
Alles gewienert, alles blitzte.
Stollen und Plätzchen waren gebacken, das Heim längst festlich dekoriert.
Duftkerzen verströmten Weihnachtsduft.
Im Vorgarten leuchteten die Rentiere, in den Fenstern blinkten Weihnachtsmänner.
Wenn Klaus heimkam, stand das Essen fertig auf dem Tisch.
Die Hausschuhe standen gleich an der Tür.
Dreck sollte hier nicht mit rein kommen.
Nun fehlte nur noch der Baum und die Gans muszte langsam auftauen,
damit der Braten rechtzeitig fertig wurde.
Schönen Baumschmuck hatte sie gekauft.
Die Farbstimmung jedes Jahr nach der jeweiligen Mode.
Nach Weihnachten landete alles auf dem Müll oder im Sozialkaufhaus.
Oh ja, sie war sich bewuszt, dasz es nicht allen Menschen so gut ging wie ihnen.
Klaus kam heute später, das hatte er gesagt.
Also machte sie noch einen Rundgang durchs ganze Haus.
"Das eigene Heim mit den Augen von Fremden betrachten" - so hatte
es ihr eine Frauenzeitschrift geraten.
Was konnte sie noch perfekter machen?
Im Keller stand immer noch die olle Kiste.
Die hatte Klaus nach dem Tod seiner Mutter angeschleppt.
Alte, angelaufene Weihnachtskugeln, olles Lametta.
Wer, bitte, hob denn solchen Krempel noch auf?!
Sie schrieb darauf "Zu Verschenken" und stellte sie raus an die Strasze.
Immer ein wohliges Gefühl, sich von Gerümpel getrennt zu haben.
Wolle und Rolle kamen gemächlich die Strasze hinauf.
Sie hatten mit einigen Kumpeln im "Blauen Affen" ihren Weihnachtsblues ertränkt.
Schluckspechte waren sie nicht, aber an manchen Tagen muszte das einfach mal sein.
Nun schoben sie ihre Räder lieber.
- Mensch Wolle, das war unser letzter Schotter!
Weihnachten ist erst übermorgen und dann noch ne Woche bis Silvester.
Was machen wir nun?
Die Tafel ist auch geschlossen diesjahr - früher hatten die wenigstens
zwischen den Feiertagen noch auf. -
- Nu mach mal keine Panik! Wir haben noch Kartoffeln und
Rosenkohl wächst im Beet und dann schlachten wir mal ein Huhn.
Ins Neue Jahr gehn wir diesmal eben trocken.
Dafür wars ja heute gemütlich mit Andi, Harry und Kalle. -
Sie lebten in einem Gartenhaus am Rande einer Laubenkolonie.
Winters war es zwar saukalt, aber sie hatten über Sommer viel Holz gemacht.
Es würde schon gehen!
Eine ordentliche Wohnung wäre zwar schön, aber viel zu teuer.
Diese Kosten übernimmt kein Amt.
Und ein Plattenbau-Arbeiterschlieszfach. also eine Einraumwohnung,
wäre der sichere Tod.
Hier hatten sie Auslauf, bauten Gemüse an, hielten ein paar Hühner.
Und sollte es mal laut werden, beschwerten sich keine Nachbarn, weil es keine gab.
Ein kleines Stück Freiheit braucht der Mensch.
Gerade, wenn er viele der tollen Möglichkeiten nicht hat.
- Du sagst es! Nur: wozu hast du eingentlich den Baum rangeschafft?
Wir haben doch nicht mal Weihnachtsschmuck. -
- Ach weiszte: ich möchts nochmal so haben wie damals,
als die Kinder klein waren und Sabine noch lebte.
Und immerhin haben wir eine Lichterkette, das ist besser als nix. -
- Naja, wennde meinst! -
So schoben sie weiter.
Vorbei an mehr oder weniger noblen Villen voller Illumination.
So war die Strasze wenigstens nicht ganz dunkel.
Bei den Rentieren stand vorm Haus ein Karton.
Rolle konnte es nicht lassen, einen Blick hinein zu werfen.
- Mensch, gugge ma, da ist Baumschmuck drin!
Hat das Christkind uns etwa gehört!? -
Sie sahen sich an und schon hatten sie die Kiste aufgeladen.
Ein groszer Fahrradkorb war immer nützlich.
Und kleine Wunder gibt es ja doch.
Immer wieder einmal.
Daheim zündeten sie ein Feuerchen an und packten aus.
Die Kugeln waren etwas angelaufen, das Lametta verknickt.
Aber immerhin: echte Glaskugeln.
Formen, wie es sie heute gar nicht mehr gab.
- Mensch Rolle, die erinnern mich an Oma.
Und wie ich immer die Süszigkeiten von ihrem Baum geplündert hab. -
Ach ja, Weihnacht war wohl doch nicht ganz schlecht!
Und diesjahr würden sie sogar einen geschmückten Baum haben.
Ganz unten in der Kiste fanden sie mehrere gedrechselte Engel.
Erzgebirgische Volkskunst. Ein wenig angekokelt das Holz, aber immerhin.
Und ein winziger Engel aus Metall.
Mensch, wie der blitzte! Der war ja nicht mal angelaufen!
Wie neu sah der aus.
Das kleine Engelchen bekam einen Ehrenplatz.
Es wurde richtig gemütlich.
Und sie sahen sich Silvester die Böllerei der anderen an.
Mitte Januar lagen plötzlich 8000 Euro auf dem Küchentisch.
- Sach ma, Rolle, haste jetzt n krummes Ding gedreht?? -
- Nee, sehe ich so aus? -
- Ja aber wo kommt denn die viele Kohle her? -
- Hm, ich musz Dir jetzt was beichten:
da beim Uhrmacher steht grad wieder das Schild "Goldankauf".
Und ich hab den kleinen Engel aus der Weihnachtskiste wieder rausgolt
und bin damit mal hin. Die haben bissel dran herumgekratzt
und mir dafür 8000 Euro angeboten. Hättest du das dann nicht gemacht? -
Wolle begann zu strahlen. Nun endlich mal eine Reise!
Und den Rest zur Dämmung der Hütte. Ein neues Dach wäre nicht schlecht.
Sie konnten ja vieles selbst machen, aber Material war eben auch teuer.
Jetzt nicht mehr.
Und die nächsten Winter konnten kommen.
*
Das Adventskalender-Thema war "Gold".