Gelesen
habe ich dieses Buch schon vor drei Monaten
und ich wollte sofort
darüber schreiben...aber mein Bloggen
geriet durch Alltagschaos ins
Stocken.
Trotzdem
soll dieser Buchtip nun hier noch rein. Unbedingt.
Der
Name Wolfgang Hilbig sagte mir bisher nichts, nur mal gehört eben.
Neugierig
wurde ich durch Natascha Wodins "Nachtgeschwister".
Die
Leseprobe bei amaz*n, die ersten zwei Seiten...
schreckten mich eher
ab, diese ziemlich brutale Szene
eines Miszverständnisses, einer
seltsamen Wahrnehmung.
Die
detailreiche Schilderung, wie eine Schaufensterpuppe zerkloppt
wird...
Ich
bin also erst eine Weile um dieses Buch herumgeschlichen... dann
kaufte ich es doch, gebraucht für einen Euro nochwas (den Autor aus
der DDR schockierte es zutiefst,
wie in der westlichen Welt Bücher
Ramsch in Wühlekisten sind) - - -
Ich
habe es nicht bereut, denn dieses Buch ist einfach genial!
Wenn
ich eine Beziehungsgeschichte a la Wodin erwartet hatte...
wurde ich
mit viel viel mehr belohnt
und das Lesen war ein ganz besonders
Erlebnis.
Das
habe ich sehr genossen.
Hilbig
ist ein Meister im Wiedergeben von Stimmungen.
Sei es ein
lichtdurchfluteter Bahnhof, eine Einkaufspassage
kurz vor
Landenschlusz oder diese ganz besonderen Zeitstimmungen
hier - damals
- und drüben (BRD).
Denn er hatte das Glück eines
Arbeitsstipendiums im "Westen".
Von
dem er nicht mehr zurück kam.
Obwohl
er sich völlig fremd fühlte in der bundesdeutschen Realität.
Fremd
war er aber in der DDR genauso.
Und nicht anerkannt.
Bis
ihn ein westlicher Verlag entdeckte und ein Büchlein herausbrachte,
was
wiederum einen Stein ins Rollen brachte...
Und
dann pendelt er in diesem Stipendienjahr mehrmals
von hier nach
drüben.
Der in Wahrheit Heimatlose stellt Vergleiche an.
Schonungslos. Detailliert.
Schockierend teils und teils auch zum
Schmunzeln.
Wenn
er sich z.B. über den Inhalt von Bezahl-TV in Hotels ausläszt,
die
Szenen und Aufnahmewinkel analysiert.
Ansonsten
davon aber nicht angetörnt wird -
Schmerzhaft
für ihn zu sehen, wie Bücher nur eine Ware sind.
Das kannte er so
nicht und vieles andre auch nicht.
Sein
Blick für Details ist einzigartig,
seine Gedanken und Schlüsse erst
recht.
Ehrlich
und schonungslos, auch sich selbst gegenüber.
Nein, er beschönigt
nichts, das so notwendige Sich-Selbst-Vermarkten
gelingt ihm nicht,
das will er auch gar nicht.
Er
ist, wie er ist.
Aus
bildungsferner Schicht in die Tretmühle
der Industriearbeit
hineingepreszt,
kommt er in den Werkshallen nicht zurecht,
landet
schlieszlich fernab der Fabrikgebäude einsam
in einem Heizhaus.
Wo
er freiwillig Nachtschichten übernimmt.
Das
ist sein willkommener Freiraum.
Dort
kann er all seinen Schmerz und seine Wut
laut hinausschreien.
Ohne
dasz es jemand hört.
Wenn
die Kohleberge so schnell wie möglich geschippt
und im Feuerloch
gelandet sind, kann er schreiben.
Ohne
dasz es jemanden stört.
Erfolg
bleibt ihm jedoch verwehrt.
Individualismus ist unerwünscht,
Einzigartigkeit und ganz persönliches Denken suspekt.
Mit
dem Organ der inneren Sicherheit kommt er mehrfach in Konflikt.
Als
er die Ablehnung seiner an einen Verlag geschickten Texte zitiert,
wurde ich an mich selbst erinnert: genau so sah mein
Ablehnungsschreiben damals auch aus! Da ging es kaum um die Texte
selbst, da bekam man einen längeren Schrieb voll guter Ratschläge,
wie man sein Leben zu führen hätte.
Ratschläge,
die Schläge sein konnten.
Ich
versuchte es nicht noch einmal.
Er
immer wieder, jedes Mal dieselbe niederschmetternde Antwort.
Überhaupt steckt da auch meine Geschichte drin: ersetze Dichter
durch
Textilgestalterin, dann paszt es haargenau.
Diese Taktik, die ungeförderten, in sich selbst begabten Menschen
so lange zu demütigen und mit allen
(fiesesten und unsachlichsten)
Mitteln niederzumachen,
bis einer selbst
nicht mehr an sich glaubt .
Darin
waren sie einsame Spitze, damals im Arbeiter-und Bauernstaat
und wer
dennoch nicht aufgeben wollte,
bekam es mit der Mielke-Behörde zu
tun,
denn er war zutiefst verdächtig.
Nun,
Hilbig hat das Glück, im Westen anzukommen. Im Provisorium.
Denn
Heimat kann dieses Kontrast-System für ihn auch nie werden.
Aber
da ist die Frau, die er liebt und später heiratet
-
er nennt sie im Buch Hedda -
und
die doch meist sehr fern von ihm ist.
Beziehung
kommt in seinem Buch (anders als bei Wodin)
eigentlich nicht vor.
Erwähnung ihrer fast nur in den Abwesenheiten,
wenn sie sich von ihm
distanziert hat, weil sie mit ihm nicht leben kann.
Er
braucht sie und leidet sehr unter seiner scheinbaren Unfähigkeit,
sie lieben zu können. Da wird viel im Alkohol ertränkt.
Nein, er
schont sich selber nie, weder im Leben, noch in der Beschreibung.
Ich
will und kann nicht alles wiedergeben, das Buch ist für mich eine
Sensation.
Einfach genial und super gut geschrieben.
Und
Wolfgang Hilbig ist meine Endeckung des Jahres.
Er
schreibt genau so, wie Lesen mir Spasz macht:
detailreich, poetisch,
fast meditativ, berührend
und teils auch brutal und verstörend.
Ohne
zu viele handelnde Personen darin (was Lektoren bei ihm bemängeln),
was es mir sonst oft anstrengend macht...
Längst
habe ich weitere Bücher gekauft und gelesen.
Er
läszt mich ganz sicher so schnell nicht wieder los!
PS:
Schon
in Natascha Wodins Personenbeschreibung kam mir der leise Verdacht
auf Asperger Syndrom, welcher sich jetzt weiter verfestigt hat.
Nicht,
weil ich so gerne Laiendiagnosen stelle... und schon gar nicht
negativ
oder pathologisierend gemeint (ich habe die Diagnose ja
selbst auch).
Sondern
einfach als eine Art des Seins, des Denkens
und der besonderen
Wahrnehmung der Dinge.
Eine
Art, die oft zu wenig umwelt- und mitmenschenkompatibel ist...
Eine
solche Diagnose könnte zu weniger Selbsthass, mehr Selbstverständnis
und eigenem Wertgefühl verhelfen. Und damit vielleicht auch zu
weniger Suff?
Irgendwie musz man das Leben ja meistern und ertragen.
- Schade, dasz er
dafür zu früh gelebt hat, als sich damit noch
kaum jemand auskannte!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Ich freue mich sehr über Dein Interesse und Deinen Kommentar.
Mit dem Abschicken deines Kommentars akzeptierst du, dass der von dir geschriebene Kommentar und die personenbezogenen Daten, die damit verbunden sind (z.B. Username, E-Mailadresse, verknüpftes Profil auf Google/ Wordpress) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhältst du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.