Montag, 13. August 2018

Europareise in Kultur(en)



Europareise ist Astrids Thema für den August.
Da ich ja ohnehin nur im Kopf reisen kann - und in Musik und Büchern -
gibt es hier heute einen kleinen kulturellen Exkurs.
Ich beschränke mich dabei auf das, was mir spontan dazu einfällt und persönlich etwas bedeutet, das ist also mehr subjektiv als repräsentativ.
 Aber vielleicht so mancher kleine Tip?

I

Deutschland, das Land meiner Muttersprache mit seinem Reichtum an Klassikern in Literatur und Musik brauche ich ganz  sicher nicht  vorstellen.
An Büchern fallen mir auszer den Klassikern eher heute vergessene Namen ein, die man früher im "Westen" kaum kannte und die mit der DDR so ziemlich ausgestorben sind.
Über Winfried Völlger  las ich neulich in der Zeit, dasz er seine eigenen Bücher zerstört bzw. zu Kunstwerken verarbeitet hat und heute Straszenmusik macht. 
Die Aussage, dasz ihm nichts fehlt, überzeugt mich nicht so ganz.... aber das ist wohl ähnlich wie bei mir heute Collagen und Ausmalbildchen - 

II

Von Deutschland reise ich jetzt ostwärts nach Polen.
Ich habe die Sprache immer geliebt (besonders die gesungene) und die Menschen, die eine Art Leichtigkeit und Lebenslust haben, die Deutschen etwas fehlt. 

Die Atmosphäre und das Lebensgefühl der heutigen Polen 
kommt in dem Film "Kleine Tricks" von Andrzej Jakimowski gut rüber, 
einer meiner persönlichen Top-Ten.
Polen - das Land Chopins, Moniuszkos und diverser schöner Dichter, 
die leider hier auch kaum jemand kennt:
Die groszen Folklore-Ensembles Schlesiens und der Masuren -
ich habe jede Menge alte Vinyls davon...

Heute pflegt man Folkloretraditionen vielfach etwas unkonventioneller
und nicht selten paart sich das mit nationalistischer Gesinnung und einer Entwicklung,
die ich mit wachsender Sorge beobachte. In allen osteuropäischen Staaten.



Das Lied ist auch gleich eine Überleitung nach Weiszruszland.
Jahrhundertelang mit reicher jüdischer Besiedelung und Kultur, wurde diese
 ab 1939 erst von den Russen und dann durch deutsche Truppen fast völlig vernichtet.
Düstere Kapitel gibt es so viele in der Geschichte, fast überall.... 

In dem Zusammenhang möchte ich ein ganz besonderes Fotobuch empfehlen:
Roman Vishniac "Verschwundene Welt"
Eine in den 30er Jahren entstandene exzellente Bilddokumentation
jüdischen Lebens in Osteuropa.

Übrigens hatte die Lyrikzeitung gerade gestern die Ermordung von zwölf jüdischen Intellektuellen durch Stalin zum Thema  - irgendwie gerade passend 
zu meinem gestern begonnenen Beitrag.

III

Von Weiszruszland begebe ich mich ins Baltikum.
Für mich vor allem Ostsee und wunderschöne Altstadt-Silhouetten... 

Ehrlich gesagt, spontan fällt mir jetzt nichts weiter ein als das Estnische Sängerfest.
Da kommen alljährlich die Massen zusammen, sangesfreudig ...
und das hat über 150jährige Tradition.
War auch in der UdSSR sehr beliebt.





Baltische Lieder fallen mir noch jede Menge ein,
aber das würde den Beitrag sprengen.
 Also begebe ich mich jetzt weiter nach

IV

Ruszland.
Mache erst einmal halt in Kostroma, nordöstlich von Moskau.
In diesem Gebiet siedelte u.a. ein ausgestorbenes (finno-ugrisches) Volk: die Merja.
Ein in seiner Bildsprache sehr eindrücklicher Film greift den Kult der Totenverbrennung bei den Merja wieder auf und verlegt ihn in die Jetzt-Zeit - "Stille Seelen".
 Ein besonderer Tip von mir!

Die slawische Mythologie ist überhaupt ein weites und sehr ergiebiges Feld.

Auszerdem sind mir natürlich zahlreiche Lieder der Region vertraut.
Hier mal ein schönes Video über die Stadt Kostroma
(auch wenn die Sprache unverständlich ist,
 die Band "Ljube" ist übrigens Putins Lieblingsband) 



Von Kostroma fahre ich ein Stück an der Wolga entlang und dann zu ihrem 
Nebenflusz, der Oka. Ich möchte unbedingt Tarussa besuchen!

Eine typisch mittelrussische Kleinstadt, doch auch (einst) Zentrum 
geistig-kulturellen Lebens.
Neben diversen Malern lebten auch die Dichter  Marina Zwetajeva, Nikolai Sabolozki und der Regisseur Andrej Tarkowski zeitweise hier bzw. hatten hier ihre Datschen - in Ruszland beliebte hölzerne Sommerhäuser.
Aber vor allem geht es mir um meinen Lieblingsschriftsteller Konstantin Paustowski,
welcher hier seine letzten Jahre verbrachte, nach einem aufregenden und umtriebigen Leben.
 Er war ja auch Journalist und mit seinen sechs autobiographischen Romanen "Erzählungen vom Leben" schuf er eine einzzigartige hochinteressante Chronik vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Dreiszigerjahre hinein.
Für mich absolute Lieblingsbücher, denn Paustowski zu lesen ersetzt jeden Film und jede Reise - man ist einfach "dabei" in seinen plastischen Schilderungen
 in poetisch-schöner Sprache.
Reisen in Büchern, vom Allerfeinsten!
Das empfand wohl auch Marlene Dietrich so, denn auf ihrer Reise in die UdSSR 1963 war sie vom Wunsch beseelt, Paustowski zu begegnen 
und sie küszte ihm in aller Öffentlichkeitdie Hand.



Hier im Video ein paar Bilder von Tarussa und Paustowski



Auszer einer Unzahl von Kurzgeschichten (poetische, präzise beobachtete Natur-und und auch Menschenschilderungen) hinterliesz er u.a. das Büchlein 
"Die Goldene Rose. Gedanken  über die Arbeit des Schriftstellers".
Vor mehr als 50 Jahren geschrieben, finde ich den Inhalt keineswegs antiqiert und ich würde den heutigen Selfpublishern und Autoren von Romanen in Serie genau dies als "Lehrbuch" empfehlen.

V

So, nun  mache ich eine mehrtägige Bahnfahrt durch die Weiten Ruszlands (teils schon in real gemacht) bis zum Ural, nach Baschkortostan
Denn erst hinter diesem kleinen Land endet Europa!
Baschkiren sind ein Turkvolk und von Haus aus islamisch, durch die gemeinsame Nutzung des Territoriums mit Russen und diversen anderen Ethnien ist dort wohl Christentum und Islam gleichermaszen vertreten. Und sicher manch Anderes auch -
 ich wüszte gerne mehr darüber!

Die Sprache klingt für mich wunderbar, hier mal ein Lied.




Überhaupt ist der Islam in Ruszland ziemlich präsent und ich mache auf der Rückfahrt von Baschkortostan noch einmal Station in Kasan an der Wolga. 
Ein sowohl islamisches, wie auch geistig-kulturelles Zentrum.
Auch diese Region interessiert mich sehr - ich kenne sie aus Musik und Literatur und ich würde gerne an der Kasaner Universität studieren...

Aber jetzt begebe ich mich ganz weit nach Süden
 und reise mit Paustowski nach Georgien.
Auch in Tiflis hat er zeitweise gelebt und geschrieben, auch dort gab es in den Zwanzigern ein reiches kulturelles Leben.
Von Heutigen weisz ich leider nicht so viel...

Ich persönlich verbinde mit Georgien vor allem liturgische Gesänge und Texte voll sprachlicher Faszination und eine Band aus den 70ern: Orera.
Hier ein Lied  plus Filmszenen 
mit dem noch jungen Wachtang Kikabidse, Schauspieler und Sänger der Band.

(Video entfernt, denn es läuft nur auf Youtube direkt, bitte obigen textlink verwenden)

*

Von Georgien reise ich jetzt wieder mit Paustowski auf einem uralten desolaten Dampfer (das, was nach dem 1. Weltkrieg von der Schwarzmeerflotte übrig blieb, war nicht allzu viel) übers Schwarze Meer nach Odessa. Das Odessa Paustowskis mit seinen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Stadtteilen (Moldavanka) erscheint mir wesentlich reizvoller als die heutige Touristenstadt.

VI

Und nun reise ich einmal durch die Ukraine, 
deren Sprache und Musik ich ganz besonders mag.
Rein geographisch gesehen ist die Ukraine nämlich der Mittelpunkt Europas,
 ich hoffe, allen EU-Anhängern und - Befürwortern ist das klar ;-)

Ich masze mir nicht an zu behaupten, das, was dort vor sich geht mit seinen Hinztergründen richtig zu verstehen... nur eines steht für mich fest: 
auch dieses Land befindet sich im Kriegszustand.
So sagten es mir auch einige Menschen, die ich persönlich traf.
Von unserem sicheren friedlichen Teil Europas her kaum wirklich zu erfassen.
Hier seine Nationalhymne, interpretiert von den 14 zahlenstärksten der 
an die 100 Ethnien, welche sich das Territorium des Landes teilen.




VII

Von der Ukraine reise ich ins benachbarte Moldavien.
Ein heute ziemlich unbedeutender Staat, seinerzeit eine der 15 Sowjetrepubliken.
Die ZEIT widmete ihm neulich einen kleinen Reise-Beitrag.

Ich höre und sehe im Geiste  immer noch das Staatliche Sowjetische Zigeuer-Ensemble, welches sich mit dem Film "Das Zigeunerlager zieht in den Himmel" 
ein schönes Denkmal gesetzt hat.
Ein märchenhaft-verklärender Film, malerisch und voller Musik.



Das Kontrasprogramm dazu ist für mich der absolut sehenswerte 
rumänische Zigeuner-Film "Hau ab!"


welcher eher Realtäten zeigt. 
Auch das ist Europa und damit bin ich jetzt

VIII

auf dem Balkan angekommen. 
Ich fasse die Balkanregion jetzt auch der Kürze halber einfach zusammen. 
Gerecht werden könnte ich den verschiedenen Ländern und Menschen dort sowieso nicht. Dazu weisz ich zu wenig, dazu bin ich zu fern vom Geschehen dort.

Zum Balkan gehört für mich der Schriftsteller Panait Istrati 
mit seinem "Kyra Kyralina" und "Die Disteln des Baragan".
Bücher, die ich vor vielen Jahre gerne las. 

Aber es gibt auch moderne realistische Literatur, vor kurzem fand ich 
auf dem Bücherflohmarkt "Die Tiegerfrau" von Thèa Obreht.
Spielt in Mostar und Umgebung und der Krieg ist allgegenwärtig im alltäglichen Leben.
Die ZEIT dazu hier.

Ein Buch, das so genial geschrieben ist, dasz ich es nicht mehr weglegen konnte... 
welches mich aber am Ende völlig sprachlos zurück lies. 
Nicht des Krieges wegen, sondern  aufgrund einer Art nativer Brutalität, die Balkanbewohnern zu eigen zu sein scheint. 
Nicht erst im diesem Buch darauf gestoszen, hier aber besonders präsent.
 Besonders schockierend.

Sicher gibt es überall "solche und solche" Menschen 
 und ich bin weit entfernt, dies zu werten.
Nehme es eher als Gegebenheit hin, da es nun mal auf der Welt sehr unterschiedliche Ethnien, Kulturen und Mentalitäten gibt. 
Die KANN man einfach nicht alle an unseren Normen messen 
bzw. ihnen solche aufzwingen.
 Welche Überheblichkeit steht dahinter, dies immer wieder zu versuchen
 und sich mehr oder weniger offensiv in die inneren Angelegenheiten
 anderer Länder einmischen zu wollen!
Das gilt meines Erachtens so für den Balkan als auch für den Orient oder weiter entfernte Kulturen, die gerade nicht so in unserem Fokus stehen.

IX

Jetzt gehe ich in meiner Phantasie die "Balkanroute" rückwärts bis nach Griechenland.
Griechenland verbinde ich zuerst mit den Filmen von Theo Angelopoulos
und der Musik von Eleni Karaindrou


Es ist ein anderes Griechenland als das, was Touristen gezeigt wird.
Und da mich das Touristen-Griechenland trotz aller Geschichtsträchtigkeit eher wenig interessiert und ich nun einmal hier gelandet bin...
begebe ich mich jetzt zu den Flüchtlingenslagern.
Dort werden ganz sicher Helfer gebraucht und damit höre ich  jetzt auf mit Bloggen.
Es gibt noch real life überall in der Welt und in Europa.

Ob ich die bekannteren europäischen Länder noch in einem weiteren Beitrag bereise,
 kann ich heute noch nicht sagen.
Das wars erstmal, liebe Astrid, was mir zu Europa so einfällt.
Hab's gerne geschrieben.

1 Kommentar:

  1. Danke! Konnte es jetzt nur überfliegen, ohne die Musik zu hören, da hier das wirkliche Leben und nebenbei ein kleines Höhengewitter tobt.
    Alles Liebe!
    Astrid

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