Dienstag, 2. September 2025

Autismus

 

 


 

Wenn du andere Menschen wie hinter einer Glaswand wahrnimmst,
die du nicht durchdringen kannst
- dann ist das Autismus.
Wenn du Mimik nicht sehen/nicht deuten kannst und selbst kaum
welche hast und kein soziales Lächeln
- dann ist das Autismus.
Wenn Du Menschen nicht ansprechen kannst,
nicht um Hilfe bitten, nicht nach dem Weg fragen
- dann ist das Autismus.
Wenn deine Empathie niemals intuitiv ist, sondern rein rational über
den Abruf selbst ähnlich erlebter Situationen zustande kommt
- dann ist das Autismus.
Wenn du für andere seltsam erscheinende Interessen verfolgst
und dich ganz und gar auf diese fokussieren kannst
- dann ist das Autismus.
Wenn dich Spontanität restlos überfordert und du deine eigenen Abläufe,
Ordnungen und Rituale brauchst um zu funktionieren
- dann ist das Autismus.
Wenn Reisen, Hotels, Krankenhäuser oder sonstige fremde Umgebungen und Situationen, 
für die du (noch) kein Handlungsmuster hast, kaum zu meistern sind
- dann ist das Autismus.
Wenn dir ein klingelndes Telefon oder unerwarteter Besuch vor der Haustür
wie ein schwerer Raubüberfall vorkommt
- dann ist das Autismus.
Wenn du dich nicht fotografieren lassen magst,
nicht ständig Selfies oder  Reels von dir postest
- dann ist das Autismus.
Wenn du keinen Smalltalk beherrschst und meinst, du solltest auf die Frage
"Wie gehts?" eine ausfühliche Antwort geben
- dann ist das Autismus.
Wenn du mehreren durcheinander sprechenden Personen
an einem Tisch nicht folgen kannst
- dann ist das Autismus.
Wenn du Gemeinschaftsgefühl oder Zugehörigkeit nicht kennst und nicht einsiehst, 
warum du Gruppenmeinungen unreflektiert zu deiner eigenen machen solltest
- dann ist das Autismus.
Wenn du dir keine sozialen Kontakte und Netzwerke schaffen kannst,
weil du ganz einfach die Mechanismen dahinter nicht verstehst
- dann ist das Autismus.
Wenn du Treffen mit zwanzig, dreiszig, fünfzig Frauen nicht organisieren kannst,
denn keine würde deiner Einladung folgen...
- dann ist das Autismus.
Wenn du dich in gröszeren Gruppen sehr unwohl fühlst und du nach
kürzester Zeit deinen Rückzug brauchst
- dann ist das Autismus.
Wenn du unter permanenter Reizüberflutung leidest, also helles Licht, Verkehrlärm,
Dudelmusik und den Grundlärm in gröszeren Speisesälen nicht ertragen kannst
- dann ist das Autismus.
Wenn du soziale Normen und Regeln niemals begreifen lernst
so sehr du auch zur Anpassung erzogen worden bist
- dann ist das Autismus.
Wenn du nicht einmal weiszt, dasz es nonverbale Kommunikation
überhaupt gibt
- dann ist das Autismus.
Wenn dir viele Verhaltens-, Denk- und Urteilsweisen anderer Menschen
seltsam und unlogisch erscheinen
- dann ist das Autismus.
Wenn du keinen Subtext (er)kennst und deine Worte
nur im einfachen Wortsinn gemeint sind
- dann ist das Autismus.
Wenn Du anderen nicht in die Augen schauen magst,
weil dich das zutiefst irritiert und vom Wesentlichen ablenkt
- dann ist das Autismus.
Wenn du trotz fachlicher Kompetenz kaum je einen Job bekommst,
weil du das soziale Darumherum nicht bringst,
- dann ist das Autismus.
Wenn du vor Verlassen des Hauses jede mögliche soziale Interaktion wie eine Rolle
einstudieren muszt und dir drauszen dann doch immer der Souffleur fehlt,
- dann ist das Autismus.
Wenn jegliches Zusammensein und Interagieren mit anderen
ein Quelle für Megastresz statt Freude und Energie ist
- dann ist das Autismus.

Und soweiterundsofort.
Verständlich erklären kann man es sowieso nicht.
 Wie sich das anfühlt,
wissen nur die, die es selbst betrifft.

 

*

 Geschrieben für eine Bloggerin, die jetzt eine ADHS-Diagnose bekam 
und nun meint, ADHS/Autismus in Verbindung schreiben zu müssen.
Das ist eine sehr unselige Verknüpfung, die vielen Autisten durch
Verzerrung und Verallgemeinerung noch mehr Schaden hinzufügt,
als sie durch ihre Neurodiversität in der Gesellschaft eh schon erfahren.
Ja, mir ist bekannt, dasz neueste medizinische Forschung diese Verknüpfung
jetzt auch herstellt und natürlich können einzelne Autisten auch ADHS-Anteile
aufweisen. Letzten Endes hilft solche Nennung in einem Atemzug aber niemanden. 
 
 

4 Kommentare:

  1. Ok, einiges passt. Und wie da nun früher oder heute die Diagnose heißt, ist mir in meiner kleinen Welt zum Glück vollkommen egal ;-)
    Aber gut, dass Du das hier mal wieder aufgelistet hast!
    Sonnige Grüße von Silke

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  2. Liebe Silke,
    man braucht keine Diagnose, so lange man zurechtkommt. Und das lernt man am besten ganz von selbst.
    Eine Diagnose ist eigentlich nur dann sinnvoll und wichtig, wenn es Schwierigkeiten im Arbeitsleben gibt (ca.80% der Autisten sind erwerbslos), wenn man z.B. dem Jobcenter erklären musz, dasz es keine eigene Faulheit ist, trotz Studium oder gar Promotion keine bezahlte Stellung zu kriegen. Wer Glück hat, besonders im alten Bundesgebiet, bekommt dann Hilfen, z.B. Arbeitsassistenz...oder wer Pech hat, wird aussortiert und kriegt EU-Rente - Obs das war, was man selbst wollte? - ich glaube, in vielen Fällen nicht (incl. uns). Aber im Umgang mit Behörden kann so ein Papier wichtig sein. Wahrscheinlich hätte ich sonst auch keines -

    Was ADHS angeht: die Menschen, welche ich persönlich kenne, sind begeisterugsfähige, offene Menschen mit viel Empathie und sozialem Geschick. Musz ja nicht auf alle zutreffen, aber ich erlebe diese Menschen als das genaue Gegenteil von Autisten. Eben mit ganz anderen Besonderheiten und Schwächen. Wenn das nun so in einem Atemzug genannt wird, ist damit Autisten ein Bärendienst erwiesen, denn dann werden gleich wieder Erwartungen gestellt, die Autisten eben gar nicht erfüllen *können*.
    Warum so viele ADHSler selbst gerne auch Autismus für sich in Anspruch nehmen möchten...das bleibt mir ein Rätsel. Aber wir hatten im Forum immer wieder solche und sie unterschieden sich von Autisten wie Tag und Nacht. Was sie selbst nicht begreifen konnten oder wollten. Deshalb kriege ich ziemlich Bauchschmerzen, wenn jemand ADHS/Autismus so zusammenschreibt.
    Liebe Grüsze
    von uns beiden

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    1. Das kann ich mir gut vorstellen, dass selten ADHS und Autismus richtig zusammenpassen - bzw. Mischformen ganz andere Schwierigkeiten ergeben können ... Und mit der schriftlichen Bestätigung hast Du sicherlich recht, dass die bisweilen hilfreich sein kann.

      Als ich Wolfgang gestern Deinen Post zeigte, kam bei uns plötzlich die Frage/Überlegung auf, wie das wohl mit Sammlern ist - in welche Schublade viele einsortiert werden. Ob es in der Gruppe nicht auch häufiger einige Tendenzen in diese Richtung gibt.
      Ich erinnere mich da an einen 'Jungen' aus der Verwandschaft, der einen Faible für Porzellanmanufakturen hatte. Meine Mutter war damals ganz irritiert, dass er nicht die Kaffeetafel bewunderte, sondern gleich das Geschirr anhob, um seine Vermutung sich selbst zu bestätigen. Und auch sonst nahm er seine Welt ganz anders wahr.
      Und auch im Kreise der Dino-Nerds hat Wolfgang bisweilen Probleme mit den teils hochinteligenten Lesern und Sammlern in Kontakt zu treten oder weiter in die Tiefe bestimmter Themen zu kommen, die ihn eigentlich an der Saurierwelt interessieren.
      Insofern bin ich gespannt, ob aus dem Sammlerthema im Oktober mit dem Museum noch etwas wird. Denn Sammeln kann so vielschichtig sein/ganz unterschiedliche Gründe haben - und von kommunikativ bis introvertiert so viele Facetten haben. Leider verlef auch bei mir der Sommer nicht so wie erhofft, ich wollte auf dem Balkon mal 'Sammeln. Eine unbändige Leidenschaft. Psychologische Perspektiven' lesen, aber bis jetzt liegt es nur auf Wolfgangs Bücherstapel mit Büchern über das Sammeln ...

      So, jetzt widme ich mich wieder den Katzenbildern, damit ich heute noch etwas für den Maunztag zusammenbekomme!
      Noch halbdunkle Morgengrüße von Silke

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    2. Guten Morgen liebe Silke,
      ja das mit dem Sammeln ist auch ein Aspekt. Ich habe ja längst nicht alles angesprochen, sondern mich eher auf die Unterschiede zu der speziellen Bloggerin bezogen (wer sonst lädt schon 50 Frauen zu einem Treffen ein? das ist ja auch nicht gerade typisch für die meisten Menschen - )

      Eine besondere Beziehung oder gar Liebe zu Gegenständen gehört auf jeden Fall mit ins Spektrum. Gegenstände generell sind angenehm, da sie nicht auf unvorhersehbare Weise interagieren, also keinen Stresz verursachen, einen nicht überfordern. Der Schritt zum Sammeln bestimmter Dinge ist dann nicht weit. Und klar: die Sammelleidenschaft geht oft über das Suchen, Finden, Horten und sich-daran-Erfreuen hinaus, weckt weitergehendes Interesse,z.B. an der Herstellung, am Material oder - bei Modellen von irgendwas, z.B. Dinos, auch an ihrer einstigen Lebensweise und was damit verbunden ist. Interessen, die bei vielen neurotypischen Samlern dann doch nicht so stark ausgeprägt sein mögen.
      Dinge zu ordnen ist häufig auch ein Mittel der Selbstberuhigung, sich eine eigene Ordnung erschaffen, sich damit Sicherheit geben, die das alltägliche und soziale Leben eben nie bereit hält.
      Wie hatte ich seinerzeit in meinem Wohn-Gastartikel bei Uli Pauer geschrieben? - "Dinge sind freundlich".
      Die Beschäftigung mit Sammlungen hat sicher viel Erquickliches und auch Tröstliches, nicht nur für Autisten.
      Schade, dasz der Sommer bei Euch so so verquer gelaufen ist und sich offenbar alles immer mehr in Unwägbarkeiten verfitzt! Dagegen ist meine kleine Welt hier ja doch ziemlich in Ordnung und jetzt ist auch Schatzes Wohnungsproblem endlich Geschichte. Da steht dann nur ein heiszer Herbst an, die paar tausend Bücher umzusiedeln. Womit wir wieder beim Sammeln wären ;)

      Ach ja, der Maunztag ist heute auch noch! Und "Wordless" und "Gerade jetzt" wurde auf Mittwoch verlegt - uii, da hab ich ja noch richtig zu tun! Ist ja alles kein Musz, aber wenn man die jeweiligen Blogger wertschätzt ... möchte man da schon gern erscheinen.
      Liebe Grüsze und einen möglichst entspannten Tag :)

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