Dienstag, 4. Juli 2017

Sommerurlaub (?)





Sommerurlaub - wie schreibt man das?
Oder: wie be-schreibt man etwas, das es 1985 zum letzten Male gab?
An was kann und mag ich mich erinnern?




1. Sommerurlaube mit Eltern gab es eher selten.
1962, 67, 75 Ostsee... 1977 und 78 in Polen.
Daher stammt meine rudimentäre Sprachkenntnis.
Die mir schon manches mal sehr genützt hat.
Wenn man im Gesangbuch mitliest, lernt man polnische Aussprache am besten -




2. Schönste Kindheitserinnerung: 1966 bevor ich zur Schule kam.
Erfurter IGA (Gartenausstellung). Nur mit meinem Vater.
Und die Oma in Thüringen besucht, bevor sie 60 wurde und in den Westen ging.




3. 1970-72 zweimal Pionierlager.
Wecken durch Arbeiterlieder aus riesigen Lautsprechern.
Antreten zum morgendlichen Apell.
Der Rest des Tages war normales Feriengaudi.
Ich genoß besonders die Zeit am Meer und: ja, ich war schon gerne mal woanders!
Aber Autistenkindern fehlt in Massenquartieren jeglicher Rückzug 
und durch ihre Seltsamkeiten (Behinderung mag ich es nicht nennen) 
werden sie schnell zur Zielscheibe der Gruppe.
Erzieher (in Unkenntnis) drängten auf Anpassung, Überforderung grenzenlos.
Ich fuhr dann kein 3. mal...




4. Verbrachte meine Sommerferien als Kind am liebsten ungestört zuhause.
Draussen im Wald beim Lieblingsbaum 
in den Wiesen oder bei Regen auf dem Dachboden.
Lesend. Fremden Sprachen lauschend aus einem grossen alten Radio.
Als Synästhetikerin waren die Sprachklänge für mich Farben.
Unverstandene Worte wurden zu Bildern. 
Kostbarer Stoff.
Seelenkino.




5. Nach meinem frühen Wegzug von den Eltern zweimal Urlaub auf Hiddensee.
1980 und 82. Allein. Wunderbar.
Aber ganz schwer Quartier zu bekommen dort.
Stellte mich dafür als Fotomodell zur Verfügung.
Romantisch-ästhetische Strandnixenbilder mit langem Haar.
Der Fotograf damals durchaus bekannt.
Und ich hab den Job dann noch öfter gemacht...




6. Durch FDGB-Urlauberaustausch 1985 ans Schwarze Meer.
Die Arbeiter des bulgarischen Partnerwerkes kamen hierher ins Betriebsferienobjekt.
Dafür konnten paar Kollegen das dortige nutzen.
Bungalowsiedlung dicht hinter der türkischen Grenze.

Zum Vergleich: ein Reisebürourlaub in Varna/Nessebar kostete ca. dreitausend,
mein Monatseinkommen lag bei 400-450 (DDR-Mark).
FDGB machte es möglich: Ferien für alle zum zweistelligen Preis.
Zwei Wochen für 90 Mark.

Hier nun Sonne satt und Hitze, wunderbares Meer - dafür bin ich immer zu begeistern!
Nicht frierend durchnässt in einem Bodenkämmerlein oder Kellerloch hockend,
 wenn deutsches Wetter mal wieder Dauerregen war...
 und statt warmer Dusche eine Pozellankanne 
mit abgestandenem Kaltwasser plus Schüssel dazu.
 Das war der Standard in Privatquartieren damals 
und die waren auch alle immer ausgebucht.
Gehörte irgendwie so zum Feriengefühl.
Nicht weiter schlimm, wenn man die Tage draussen verbrachte.

Hier gab es sogar Duschen, aber häufig kam da kein Wasser raus. 
Und paar andere Dinge mehr.
WC war ein Loch im Boden. Keine so schlechte Idee!
Dazu sind fremde Länder ja da, über sich hinauszuwachsen 
und Überleben zu trainieren.

Die Menschen freundlich, die Sprache slawisch, eine Spur härter als Russisch.
Was sowieso keiner hören wollte dort.
Die einzig bekannten deutschen Worte waren Schnaps und Witz - - -
Aber man hat sich schon irgendwie verständigt.

Allerdings kein Ort für Einsiedlerinnen.
Unmöglich, als blonde junge Frau allein spazieren zu gehn.
Meine langen Locken hatte ich mir wohlweislich daheim schon abgeschnitten,
aber auch das reichte nicht.
Wurde mehrmals in die Büsche geworfen und habe nie im Leben
meine Zähne, Fingernägel und Füsse mehr gebraucht.
Urlaub zum Abgewöhnen.
Manche Traumata wirken lang...




7. Danach endlich die Selbstständigkeit durchgesetzt...
 war sowieso kein Sommerurlaub mehr drin.
Das Geld von den Märkten musste bis Weihnachten reichen.
Hatte sich die Frage also erstmal erledigt.


8. Ende 89 ging die Grenze auf, 1990 Währungsunion:
 Mallorca, wir kommen!
Nicht jedoch ich.
 Mir brach ganz schnell die Existenz weg und eine Anstellung zu kriegen, 
wo überall Betriebe geschlossen wurden, gelang mir nicht.
Billigjobs, Gelegenheitsaufträge (oft hinterher nicht bezahlt) - 
es ging gleich sehr tief hinab und die Reisefreiheit 
ging unbemerkt an mir vorbei.
Andere Sorgen. Wenigstens die Miete aufbringen.
Essen aus Containern. Damals wenigstens noch unverschlossen -


9. Das ruhelose Umherziehen der Berber, eigenen Gesetzen und Regeln folgend, 
war nicht meine Art des Reisens.
Diese archaische Welt voller Gewalt ist nicht für Einzelgängerinnen gemacht.
Da braucht eine Frau schon einen sehr guten Hund.
Oder einen starken Beschützer.
Der sie früher oder später auch nur verprügelt und ihr die Rippen bricht.
Ich wollte beides nicht.
So blieb ich denn immer am Ort.



10. Manchmal möchte ich schon gerne verreisen.
 Nach Menton an die Cote d'Azur,
Rochester erleben, Bundesstaat New York.
Orte, die ich durch Blogger kenne.
Den Bodensee sehen oder die Nordsee.
Stralsund, Greifswald, Dresden, Naumburg, Weimar..
 endlich einmal  wiedersehn.
Aber das geht kaum mit einer Rente
 in Höhe meines damaligen DDR-Monatsgehalts.




11. Also verbringe ich die Sommer daheim.
Gar so schlimm ist das für mich nicht.
Lese das Flow-Ferienbuch und in Blogs vom Urlaub der anderen.
Versuche, mir ab und zu einen Tag wegzustehlen vom Alltag.
Um diesen bewusst als Sommerfrischlerin zu gestalten.
Eben auf meine Art. Und/oder mit meinem Liebsten.
Gehe, so oft es geht, ins örtliche Schwimmbad.
Frühmorgens und meist nur bei schlechterem Wetter.
Sonst ist es total überfüllt.
Andere Badegewässer sind unerreichbar.
An heissen Tagen spendet mir Schatten der Kirschbaum oder der Wald...




12. Das heutige Reisegeschwindigkeit hat schon etwas Tolles.
Mit ICE oder Flugzeug in wenigen Stunden nach ganz weit weg.
Aber das ist nicht unbedingt nach meinem Sinn.
Würde manchmal gern reisen, wie zu Goethes Zeiten:
die schuckelnde Postkutsche unbequem und nie wissen, in welchem 
Wanzen-Bett eines drittklassigen Gasthofes man nächtens landet...
Aber dafür mehr sehen vom Weg.
 Achtsamer reisen.
Philosophieren mit Mitreisenden, stundenlang.
Unterwegs Reisetagebuch schreiben. 
Oder malen.
Irgendwann ankommen in der Sommerfrische
und bis dahin schon ganz schön viel erlebt -


13. Oder mit einem Auto unterwegs.
Aber nicht kilometerfressend auf der Autobahn.
Dörfer entdecken, Kunst betrachten.
 Landschaften geniessen. Zwischenstation.
Sich Zeit lassen.
Unabhängig von Fahrplänen sein.
Das sind so meine Träume...



14. Reisen hat es in frühen Jahrzehnten schon noch weitere gegeben:
mit der Bahn durch verschneite russische Weiten bis fast zum Ural.
Moskau im Februar... - aber hier war ja nach Sommerferien gefragt.

15. Wir machten früher meist Farbdias.
Davon existieren noch etliche Kästen.
Erinnerungsschätze.
Papierbilder zum Zeigen habe ich nicht.
Daher etwas Nostalgie zur Illustration und weil ich ja sowieso
mehr ein Mensch bin, der in frühere Zeiten gehört.
Abgebildete Personen sind Zufälle.
Haben nichts mit mir und meiner Familie zu tun.

Gerne mitgemacht bei Le Monde de Kitchi


PS: Ich habe das nicht geschrieben, um jemandem Schuldgefühle zu machen 
und ich bin prinzipiell nicht neidisch, wenn es anderen "besser" geht, 
oder eben einfach nur anders ...
Wertendes, vergleichendes Denken ist mir fremd und
ich glaube, jedes Leben hat seinen Sinn, so, wie es ist.
Vielleicht erfüllen sich ja meine Ferienträume doch noch, wer weiss?

8 Kommentare:

  1. Liebe Mascha, ich bin ganz begeistert, aber auch berührt von deinem Post zum Thema. Habe so viel erfahren, über deine Besonderssein, das Leben in der DDR, die Folgen der Wende für dich, deine jetzigen Lebensumstände und dein ( bewundernswerter ) Umgang mit dem, was ist. Und dazu diese schönen alten Postkarten und Fotos! Und wenn sie Zufallsfunde sind, finde ich deinen Post so sehr viel aussagekräftiger als meinen. ( Du sprichst auch Negatives an, was ich gut finde. )
    Ich schicke dir ganz herzliche Grüße aus meiner selbst gewählten Klause!
    Astrid

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  2. Liebe Mascha, ich kann mich Astrid nur anschliessen. Das ist wirklich eine sehr berührende Biografie. Du bist dir ein Leben lang treu geblieben, das finde ich wunderbar.
    Ganz liebe Grüße an dich
    Susa

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  3. Liebe Mascha,
    auch ich schließe mich den beiden Vorgängerinnen an und drücke dir meine Bewunderung und meinen Respekt aus.
    Du hast viel von dir preisgegeben, in einer sympatischen Art.
    Ich habe Wort für Wort gelesen und deine Bilder dazu bewundert.
    ein ansprechender und berührender Post.
    ♥lichst Jutta

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  4. ...Mascha, a wonderful look back, thank you!

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  5. So bewegend dein Post, es hat mich getroffen. Und wieviel anders als meine Erlebnisse, da traue ich mich kaum von meinen schönen Urlauben zu erzählen.
    Deine nostalgischen Postkarten sind wunderschön !!!
    Danke für deinen Post.
    Gruß zu dir
    heiDE

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  6. Liebe Mascha,

    ich bin total hin und weg von Deinen Postkarten und von Deiner Art zu schreiben. Es hat mich tief berührt und ich habe mir die Mühe gemacht und Deinen "Ersten Blog" von Anfang bis zum Ende gelesen. Mich persönlich hat es ein wenig aufgerüttelt und zum Nachdenken angeregt, wie gut wir es doch im "goldenen Westen" hatten, hier geboren und aufgewachsen zu sein. Ok, ich komme auch nicht aus einer reichen Familie, wir hatten auch unsere Schicksalsschläge (mein Papa mit 34 Jahren Frührentner durch einen Schlaganfall)aber trotzdem hatten wir andere Möglichkeiten und sicher eine bessere soziale Absicherung. Es gab keinen Luxus aber immer was zum Essen und wohnen.Ich würde mich sehr freuen, weiterhin von Dir zu hören und wer weiß, vielleicht kann ich Dir eines Tages den Bodensee zeigen.

    Liebe Grüße, Burgi

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  7. Verflixt, nun ist mein Kommentar verschwunden... Diese spezielle Sommerreise zu und mit dir hat mich sehr berührt... Lieben Gruß Ghislana

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  8. Hallo Mascha,
    die Einblicke und Erinnerungen die Du teilst die kann ich nicht nachvollziehen, aber ich schließe mich meinen Vorrednerinnen an, ich finde es toll das Du das so schreibst ohne Wenn und Aber und Jammern und Du Dich nie verbogen hast.
    An Schuldgefühle oder Neid habe ich so gar nicht denken müssen beim Lesen Deiner Erinnerungen. Mir ist nur wieder einmal bewusst geworden, wie einfach hier es wirklich gewesen ist und ich durch meinen finnischen Anteil in ein wunderbares Urlaubsland gekommen bin (und sei es "nur" zu Familienbesuchen gewesen).
    Wer weiß, vielleicht schaffst Du es ja einmal nach Skandinavien - glaub mir, die Finnen lassen Dir Raum und viel Intimsphäre, das ist angeboren ;-)
    Liebe Grüße
    Kirsi

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