Montag, 20. Dezember 2010

Ariadne in Prag

Da ich dich sah, stieg ich hinunter; von bitterer Venus an die beschmutzte Stätte meiner Armut, Maulbeeren im Schuh, waagerecht im Joch der Armbrust, Kork und Eid klimpernd, wie Flügel meine Zeit würzend zum Salzigen.
Du hieltst dein Herz sehr aufrecht und unlesbar, und gleich erfuhr ich es. Ich zeichnete einen unsagbaren schatten, und so schweige ich über ihn. Vor nur dreitausend Jahren nun fand ich deine erschütterte Spur am Grab der ägyptischen Ahnen, die uns gemeinsam war. Du wandtest dein Antlitz, um mich nicht zu blenden, obwohl ich dieses Verstummen forderte wie eine Gabe; aber dein Leib blieb vor mir bis zu diesem Tag.
Ich streichelte und strich über den magischen Namen bis zum Verlust meiner Hände, jubelnd jedoch dich endlich zu nennen. Sanft übertrat ich deines Willens Kreide, zerriß dein antikes Kleid und glättete es und saß nieder, um es zu kosten. Wild liebte ich die Worte, welche du gegen mich sprachst!
Von nun an folge ich nackt dem schlanken Fluß, um demütig deine Geste zu trinken, beleuchtet nur am Ufer-Wege durch deiner Bug-Figuren zynisches Lachen. Um mich zu narren, kam zum Bild die Dichtung: Kali mit Hut und Hund in riesiger Kajüte, lächelnd gestreckt und erdlos wie du. Meuterin! widersinniger Engel auf faserigen Brücken, verschwindest trotz alledem, was ich bin, Herz, Nerv, Innereien und Brunnen, geflochtener Brief, der im geheimen Munde wohnt, so zärtlich umarmtes Siegel! Hast mich gelassen im dauernden Biß unheilbaren Mangels, den Faden im Sinn nicht als Weg; eher Wurm, der leise klatscht zu den Kapiteln, wenn die Sicheln singen. Der Wein meiner Nacht wurde zu Essig. Ich trank den erfundenen Speichel in fremder Gewalt, fuhr über deine Stirn auf anderem Gebein, wo stolz sie sich trägt wie Laubschimmel und herbstlicher Königin Herausforderung. Tränen umkreisten mein Auge, und vor diesem welken Prellstein vergaß ich zu künden von meiner Lungen Kraft, all deine Katheder zu verdunkeln! Nackt und erstarrt blieb ich zurück wie in herrlich unwiderlegbarem Leugnen; mit Liebe das schadhafte Kreuz entziffernd, konnte meine Tore nicht mehr lesen.

Lena Vandrey
aus „Paradigmen der unbequemen Schönheit“
Verlag Zeichen und Spuren – Frauenliteraturverlag Bremen 1986





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