Einmal war es ein weißer Mousselin, wie von den Kindern ins Fenster eingeträumt: ein Schleier vorm Brautgesicht der Sonne. Die Mutter nähte ihr ein Kleid daraus (es war schon Krieg), das wurde Schulkleid, Tanzkleid, Hochzeitskleid. Ach Traum, ach Braut, die weißen Kleider hielten in den Jahren kaum, was sie versprachen. Mit schwarzer Farbe wurde es in einem Topf gekocht, gekürzt, verengt – ein Jahr war es schön zu bleicher Haut -, dann abgelegt schnell nach der Trauerzeit. Doch schon im ersten Hungerjahr des Friedens braucht sie es wieder; der Sommer in dem Jahr schien grün wie nie; sie nähte eine feuerrote Blende an den Ausschnitt, und trennte Säume auf; man trug die Röcke wieder lang und heiter; zur nächsten Hochzeit ging sie nicht in Weiß.
Es war das schönste Kleid noch immer und blieb es durch die Jahre; sie trennte auf und nähte ab und überdeckte das Zerschlissene mit Flicken. Vom vielen tragen hatt es einen Glanz wie manchmal eine junge Freau mit weißem Haar, lang, kurz, eng, weit: es gibt so vielgeliebte Kleider, die wachsen an wie zweite Haut, und werden Talisman und schützen vor Krankheit, Alter, bösem Blick – so glaubte sie und trug es gestern noch in der Pianobar und dachte dass sie so glatt ihm anläge und es wie damals schmückte: ich sah die Leute lachen.
Doch Julia drehte sich, warf Schulter, Kopf, das Haar im Schwung zurück, und glaubt im Blickfeld sich wie ehemals, und nahm Gelächter für Bewunderung.
Gerlind Reinshagen
Aus „Zwölf Nächte“ Suhrkamp-Verlag 1989
Mittwoch, 15. Dezember 2010
2 Kommentare:
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Hallo Mascha,
AntwortenLöschendanke für die gute Geschichte, interessante Collagen dazu.
Liebe Grüße
Brigitte
Ein wunderschöner Text,"nahm Gelächter für bewunderung".. das muss ich mir merken! es bedeutet für mich: An sich selbst glauben..
AntwortenLöschenDeine Collagen passen wunderbar zum Text, liebe Mascha! Habe eine schöne Zeit!Regina