Gekränkter Falter! Oh Namenlose! Heliotrop! Traumgurt, Traumzoll, welch immer Herr, - Hoch- oder Niederkunft! In dieses Haus bist du eingetreten, Meisterin allein des Unglücks! Wie Dornen und Efeu in fremden Sprachen verwurzelt, Samt und Schimmer nur in der eigenen, die du verfremdest und überfährst, schnöde Schwester! Deine Kunst ernährt sich am Sonnengeflecht der Völker, und du wirfst sie aus dem Fenster, deine Lettern, doch sie zerbrechen. Und zur Hymne des Streites willst du mit einer Säge dir die Adern zerschneiden und über die Kirchen nackt ins Wasser springen? Über Feuer und Bett willst du bestimmen, über Erde, Ton, Ocker, Kohle und monatliches Blut in den Münzen? Wie ein Quälgeist lässt du regnen im Heft der Anschriften und kriechst im Schlamm wie eine Wöchnerin, um die Hasen zu nähren, welche dich nicht sehen dürfen! Hast du Land? Nein, nein, nein, ich habe nur Städte; Städte zwar wie Sand am Meer, erstickte Gebäude und blasse Mädchen in unfertiger Häkelei, Hafentöchter ohne See und kranke Mütter. Ich habe Ameisen in der Schulen und Würmer im Gewerbe, Wolle und Wäsche in der Armee! Peinlich bin ich, göttlich und monogam; immer hinter dem Herd und in der Herde – und schlucke Farbe, Farbe um jeden Preis! Immer den Süden im Leib, immer die fremde Sonne kaufen wollen durch den Fall meines Nebels, und manches Mal versuche ich zu tauschen in dieser unverständlichen Währung: Tau gegen Licht!
Aber ich fliehe bald, vor dem Echo des Eises auf dem Efeu und vor dem Rost im Wind, vor dem Atem des Zorns im Laub: dass es mir nur nicht die Augen verdunkle! Denn ich will doch hell bleiben, hell wie die Zeit auf den Zähnen in den Ländern die mir nicht zuhören! Ich bin hungrig, hungrig, seit vierzig Jahren; als Nahrung nur diesen Hunger im Kasten, den ich hüte wie das Fasten. Kann nicht ausgehen, bin eine Bettlerin, ein tonloses Ich; amusisch wie die Kerze neben dem Knochen. Nichts habe ich als kalte Grenzen, verirrte Öfen und zufällige Oblaten neben dem Fisch. Keine Weltlichkeit ist möglich und kein verbrämtes Holz um meine Dochte: zu arm dazu, zu stolz, zu reich, zu niedrig, zu hoch, zu gerade, zu schief! Da ist kein anderes Kleid in diesen Büschen. Kein Stoff, worunter zu atmen wäre.
Nicht einmal Seide.
Lena Vandrey
Aus „Paradigmen der unbequemen Schönheit“
Verlag Zeichen und Spuren – Frauenliteraturverlag Bremen 1986
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