Sonntag, 24. September 2017

Schule und ihr Anfang





Schule du kindliche
Hölle zerfetztes Papier
aufgeschlagen die
Knie Häme
und Spott aufgestachelt
die Horde und eigentlich
doch nur
lernen wollen

Astrid Ka fragt diesen Monat nach Schulanfang und ich habe lange gezögert.
Immer noch schmerzhaft das Erinnern an damals und das, was heute noch
in meinen Alpträumen lebt.
Von Zeit zu Zeit.



I

Eingeschult 1966 in eine Klasse mit 33 Schülern, was damals völlig normal war.

II

Natürlich ungeheuer auf die Schule gefreut, denn ich lerne gern, 
das ist bis heute so geblieben.
Am liebsten wollte ich gleich noch Chinesisch, denn die Zeichen in Vaters Buch waren so schön und die Zahlen von 1-10 konnte ich schon.
Arabisch, römisch und chinesisch.
(Mehr Chinesisch als diese paar Zahlen kann ich aber bis heute nicht)


III

Dem Schulanfang ging eine kleine Irritation voraus, über die ich heute schmunzeln musz.
Meine kindliche Vorstellung eben.
Damals für mich aber nicht lustig:

Wir waren in Thürigen bei der Oma, Vater und ich.
Mein Onkel aus dem Westen war auch dort.
Sie bereiteten Omas Übersiedlung vor, da sie nun Rentnerin war.
Es musz wohl ein kühler Sommer gewesen sein.
Ich wollte immer Kniestrümpfe, doch mußte ich diese furchtbar kratzige Wollstrumpfhose anziehn (Autisten haben oft sensorische Überempfindlichkeiten). 
Das gab jeden Morgen Geschrei.
Mein Onkel meinte: wenn du nicht ruhig bist, bekommst du eine ganze Zuckertüte voller Strumpfhosen, die krabbeln. -
Ich sah dann also die bunte Tüte auf dem Boden liegen und heraus krochen Strumpfhosenbeine, wie seltsame Reptilien.
Krochen im ganzem Zimmer umher....

Ich verstand nicht, dasz dies Frotzelei war, 
denn in meinem Elternhaus wurde nicht gefrotzelt.
Da war alles ernst und rein wörtlich gemeint, was mir natürlich sehr entgegenkam.
Nur das ist verständliche Kommunikation für mich, heute noch.
Ironie und Scherze sind ganz schwierig und ihre soziale Funktion in der Gruppe ist mir inzwischen zwar mit Verstand klar, aber trotzdem in dem betreffenden Moment unverständlich und gar nicht zu deuten.
Kurz und gut: ich verstehe oft keinen Spasz.

Also: ich bekam im Vorfeld ziemlich Angst vor meiner Zuckertüte.


IV
So schlimm war die Zuckertüte dann aber doch nicht, nur ziemlich enttäuschend.
Statt meiner geliebten Schaumzuckerteilchen (solche gab es nie wieder nach dem Ende der DDR!) fand sich darin ein Pepita-Faltenröckchen, weisze Blusen 
und andere Dinge fürs brave Mädchen.
Das ich nie war. -
Und ich weisz nicht, zu welcher Zeit und in welchem Land diese Sachen Mode waren -
 bei uns waren sie es definitiv nicht.
Also fiel ich schon wieder auf mit meinen seltsamen Klamotten -


V

 Zuckertüte vergessen .
Das Lernen gefiel mir und ich war stolz, zu Weihnachten 
meine Bilderbücher selbst lesen zu können.
Auch Rechnen und Turnen machten mir sehr viel Spasz.
Nur Ballfangen ging gar nicht.


VI

 Die ersten drei Jahre hatte ich das Glück einer sehr einfühlsamen,
 erfahrenen älteren Lehrerin.
Die jedes Kind so nehmen konnte wie es war.
Die stetig versuchte, Toleranz zu wecken gegenüber jeglicher Form der Andersartigkeit.
Somit waren die ersten drei Jahre für mich schön und erträglich.
Ich bin Frau D. dafür bis heute dankbar.


VII

 Weitere Schulanfänge gab es nicht.
Das Bildungssystem der DDR hatte nur diese eine
 Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule.
Eine für alle, 10 Jahre lang.
Wer später nicht mehr so mitkam, konnte einen Abschlusz nach den 8. Klasse bekommen und wer Abitur wollte (bzw. durfte, denn das wurde oft "von oben" bestimmt), ging nach der 8.Klasse zur EOS (erweitete Oberschule), analog zum heutigen Gymnasium.
Dazu gehörte ich glücklicherweise nicht.
Glücklicherweise?


VIII

 Ich empfand es als Glück, die Schule nach 10 Jahren endlich verlassen zu dürfen und erinnere mich bis heute an die ungeheure Erleichterung dieses Abschlusztages.
Als ich mein Zeugnis entgegennahm und damit den Saal verliesz.
Sang-und klanglos. Ohne Feier. Denn danach war mir trotzdem nicht.
Ich feiere lieber auf meine Art.


IX

 Nach dem 3. Schuljahr wurde uns diese tolle Lehrerin genommen 
und die Klasse blieb fortan ziemlich führungslos.
Ein Klassenleiter, der nur 1 Std. pro Woche in die Klasse kommt und der dann 
auch noch Unterrichtsstoff hat... kann sich nicht wirklich kümmern!
Die Klasse wurde zum Problemfall.
Eine jener Klassen, vor der selbst manche Lehrer Angst hatten.
Und das schwarze Schaf dieser Klasse war natürlich ich.
Weil ich so doof war.
So blöd guckte.
Nichts verstand (im sozialen Kontext).
Klar eigentlich.


X

 Bis heute noch ab und zu Alpträume von einem aufgestachelten Mob, der mir auflauert. Mich verfolgt. Mir schreiend nachläuft. Mich zu Boden reiszt.
Alle treten auf mich ein.
Erfahrung absoluter Hilflosigkeit.
Gegen Einzelne wuszte ich mich zu wehren, aber die gingen auch nicht an mich heran.
Gegen die Mehrzahl war ich zu schwach.


XI
Spuren solcher Attacken muszte ich beseitigen, bevor ich nach Hause kam. 
Oder mir Ausreden ausdenken für zerrissene Kleidung, aufgeschlagene Knie, 
Beulen, angesengte Haare, zerrissene Hefte.
Mutter - in bester Absicht - lief sonst zum Direktor.
Dann kam der Vorfall samstags vor den Fahnenappell.
Resultat: nicht nur die eigene Klasse sondern die gesamte Schule (800 Schüler) ergötzten sich daran und ich hatte gleich noch ein paar Verfolgerhorden mehr hinter mir.
Auf dem Pausenhof. Auf dem Schulweg.


XII

Verstecke gesucht, wo ich nur konnte. 
Von Lehren aus der stinkenden Toilette gezerrt und gewaltsam auf den Schulhof gescheucht. 
Heraus aus meinen mühsam gefundenen Schlupfwinkeln.
Kein Ort für mich. Nirgends.
Schlieszlich Schule geschwänzt aus Angst, dort hinzugehn...


XIII

Gesessen hab ich die ganzen Jahre in der letzten Bank neben dem 
schwächsten der Jungen.
Dem ging es oft ähnlich. Einfach, weil er der Schwächste war.
Wurde mal eben so an die Wand geklatscht oder die Nase blutig geschlagen.
Wir vestanden uns gut.
Später beging er Selbstmord.


XIV

 Später hätte ich eigentlich gerne ein Kind gehabt.
Aber der Gedanke, es in die Schule schicken zu müssen,
 hat mich letztlich davon anbgehalten.
So hart das jetzt klingt .
Ich hätte mein Kind nicht bewahren können.
Und wollte ihm solche Hölle ersparen.
Ich denke, das war besser so.

Ich selbst gehe bis heute lärmenden Gruppen von Jugendlichen aus dem Weg.
Werde gelegentlich angepöbelt oder mein Fahrrad wird demoliert.
Während ich im Supermakt bin.
Denn ich bin ja immer noch so blöd. Und gucke so dämlich.
Falle auf. Ungewollt.
Aber durch nichts zu ändern.


XV

 Ich denke, ich bin nicht die Einzige.
Es gibt ganz sicher in jeder Klasse mindestens ein solches Kind.
Das immer dran ist. Weil es seltsam ist.
Oder behindert. Ausländer. Oder nur anders sozialisiert.
Und ich glaube, heute ist das oft noch viel brutaler.

Schlimm finde ich, dasz Deutschland keine Hausbeschulung zuläszt.
Davon könnte so manches Kind profitieren und hätte dann doch 
einen besseren Start ins Leben.
Ich weisz von Familien, die deshalb ausgewandert sind in die USA.
Wo das einfacher geht.

Für Behinderte gibt es heute Schulbegleiter.
Etwas, das den Staat ganz sicher einiges kostet.
Ich weisz jedoch nicht, ob ich einen Schulbegleiter gewollte hätte damals.
Eher nicht.
Und bewahren könnten hätte er/sie mich vermutlich auch nicht.
Man begegnet sich ja auch auszerhalb der Schule wieder.
Und Cliquen hägen gemeinsam ab.
Bewahren ist da einfach nicht möglich.

*

So, nun doch noch geschafft. Danke fürs Lesen meines - schon wieder - Kontrastprogramms.
Und schönen Sonntag. 

Bitte wählt heute nicht diese Horde, die sich da gerade formiert
und die nach dem Recht des Stärkeren agieren wird. Garantiert.
Bleibt bitte bei den demokratischen Parteien!




3 Kommentare:

  1. Liebe Mascha, bestürzt hat mich dein Bericht, und ich habe mich gefragt, ob es mir in meinen vierzig Lehrerinnenjahren hoffentlich gelungen ist, Kinder vor solchen Alpträumen zu bewahren. Wahrscheinlich nicht in jedem Fall. Dieine Entscheidung gegen Kinder finde ich hart, kann sie aber gut nachvollziehen. Bei jedem Enkel, über den ich mich riesig freue, denke ich auch an solche Leidenserfahrungen und könnte zur Furie werden...
    Ich freue mich, dass du dich doch getraut hast. Solche Erzählungen wie deine sollten möglichst viele lesen und sich hineinversetzen...aber in diesen Tagen fällt das ja immer mehr Menschen schwer.
    Alles Liebe dir!
    Astrid

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  2. Großer Gott Mascha,
    das klingt ja furchtbar !
    Dass Kinder so grausam sein können, dass Lehrer so teilnahmslos damit umgegangen sind... für mich sehr bedrückend.
    Und ich glaube, dass es immer wieder zu solchen Situationen kommen kann.
    Heutzutage nennt man das wohl Mobbing.
    Danke für deine Offenheit, die aufrüttelt.

    Und ja, natürlich gehe auch ich wählen!
    ♥lichst Jutta

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