Sonntag, 8. Oktober 2017

Nachdenken über unsere Kultur



Noch einmal will ich nachdenken über unsere Kultur, angeregt von Astrid Ka.

Wobei ich mit "unserer" jetzt nicht speziell die deutsche,
sondern eher die abendländische meine.

I

Ich bin froh und dankbar, in eine Welt hineingeboren zu sein, in der ich nicht gleich als Neugeborene getötet wurde oder namenlos als die 4. Schwester aufwachsen musz, nur, weil ich weiblich zur Welt kam.
Selbstverständlich für mich, als Mädchen genauso willkommen zu sein und Zugang zu Bildung etc. zu haben...- das ist leider nicht überall so.
Und ich werde nicht gesteinigt für einen Seitensprung, zwangsverheiratet oder vielfach vergewaltigt als alltägliche Normalität.
Nicht beschnitten oder sonstwie verstümmelt, meine Füsze verkrüppelt, damit ich nicht weglaufen kann.
Dinge, die wir uns öfter vor Augen führen sollten.
Wie human, vernünftig, gesund und friedlich wir leben können.


II

Ich bin froh, einen Namen bekommen zu haben, eingetragen zu sein in Büchern
und von Gott beim Namen genannt.
Wobei ich das mit dem Gott eher weiter gefaszt sehe
und jede andere Art des Glaubens genauso respektiere.
Die Form der Anbetung kann so verschieden sein wie die Namen der Gottheiten.
Das ist Vielfalt - Unterschiedlichkeit - und es ist gut,
dasz es sie gibt auf der Welt.
Kreuzzüge, Glaubenskriege oder auch Missionsarbeit, wenn sie dem überstülpen des eigenen Gottesbildes über das der anderen Kulturen bedeutet ...lehne ich ab.
Und ich bin froh, nicht in frühreren Zeiten zu leben, wo das alles auch hier noch wesentlich radikaler und brutaler ausgelegt und angewendet wurde.


III

Ich freue mich über jeden Ansatz eines friedlichen Miteinanders und Nebeneinanders unterschiedlicher Kulturen und Religionen auf unseren Territorium und überall in der Welt.
In den USA scheint mir das besser zu klappen, wobei es natürlich auch dort Feindseligkeiten gibt und diese nun wieder erstarken.
Keine gute Entwicklung, nirgendwo!

Ich wünsche mir auch, dasz Frauen Kopftuch und Schleier tragen dürfen, hier bei uns.
Diese Entscheidung sollte jeder selbst überlassen und respektiert werden.
Es tut niemandem weh, also ist es auch nicht verwerflich.

Und ich denke manchmal, wie es wohl wäre, unter einer Burka verborgen zu sein und z.B. ein Stadtfest zu besuchen oder eine Diskussionsrunde.
Wenn ich unerkannt bin, mein Äuszeres keine Sympathien beim anderen Geschlecht hervorruft - wird dann besser auf das gehört, was ich zu sagen habe?
Bekommt es dann diese Art neutrale Wertigkeit, die ich mir oft wünsche?
Wie wäre das für mich, mich so unerkannt bewegen zu dürfen,
fühlte ich mich dann vielleicht sogar freier in mancher Situation?
Ich würde es gerne probieren!
Allerdings werde ich - zumindest hier in der Kleinstadt und der immer islamfeindlicher gesinnten Welt - wohl doch lieber Abstand davon nehmen müssen.
Eingedenk meiner eigenen Unversehrtheit.
Schade eigentlich!


IV

Einen sehr schönen Absatz las ich dieser Tage bei Irena Brežná ("Die undankbare Fremde"):

"Mein Hochseilakt bekam eine Richtung - das Denken hinter jedem Denken zu erforschen. Die vertraute Ganzheit hatte ich unwiederbringlich verloren, doch ich wurde fähig, ein Stückchen Vertrautheit in manch Unvertrautem zu entdecken.
Ein neues Kleid würde ich mir zusammenschneidern, ein nie dagewesenes. Noch wusste ich nicht, dass dies machbar was, dass Kulturen farbige Stoffe sind, dass ich auch Händlerin werden würde, die einkauft und verkauft, die auf einem Basar die Augen offen und nichts für unmöglich hält...."

Ein sehr gutes Buch über Fremdheit, Migration, Sich-Einleben-Müssen.
Irena Brežná ... geflohen aus einer Diktatur in eine demokratische Welt.
Sehr bedenkenswert, wie sie die für uns normalen kleinen Alltagsverhaltensweisen erlebt und vergleicht mit der ihr vertrauten Kultur.


V

Aus einer Diktatur zu fliehen blieb mir erspart -
die Demokratie kam einfach zu mir eines Tages.
Hurra!
Aber das war nur am Anfang.
Viel zu bald schon der grosze Ausverkauf und das Gefühl, dasz wirkliche Mitgestaltung auch jetzt nicht machbar, nicht erwünscht, nicht möglich ist.
Die sich bei uns formierten neuen Demokraten hatten einen Erfolg von 2,9% bei der ersten freien Wahl und waren bald ganz und gar verschwunden.
Nur wenige hielten sich noch, unser Ministerpräsident Reinhadt Höppner (dessen Buch "Versucht es doch!" genau diese Utopie der Anfangszeit war und eben leider wirklich nur Utopie - )
und bis jetzt fast nur noch Angela Merkel.
Hut ab vor ihr! Das meine ich ganz ehrlich.


VI

Die Würde des Menschen ist unantastbar, heiszt es so schön in diesem Grundgesetz.
Der tägliche Alltag mit all seinen Sorgen läszt einen das häufig vergessen.
"Menschen" scheinen nur jene zu sein, die gesund, leistungsfähig, arbeitend sind und in der Lage, für ihren Unterhalt selbst zu sorgen.
Arbeit haben und davon leben können sind immer noch
bzw. immer mehr zwei verschiedene Dinge.
Zumindest hier in meiner Region.

Hartz-IV-Aufstocker nennt man all jene, die trotz Vollzeitjob so wenig verdienen, dasz sie unter Hartz-IV-Niveau leben und staatl. Stütze dazu bekommen (dasz der Steuerzahler damit Unternehmen mit Dumpinglöhnen sponsert, wird so deutlich selten gesagt).
Und all die Rentner, die zur Rente noch auf Grundsicherung angewiesen sind.
Da wird es nicht so genau genommen mit der Würde und dem Datenschutz.
Im Umgang mit Ämtern zählt anderes als das Grundgesetz
und so mancher Zynismus hat jemandem zum Herzinfarkt gereicht.

Und ich armes Ossi, einst von der Stasi bespizelt...frage mich oft, was entwürdigender ist:
von irgendwem gelesene Briefe oder die Abheftung von Kontoauszügen beim Amt (?)
Das Schlange stehen, drängeln, getreten werden... nur um ein paar teils halb vergammelte Stücke Obst und Gemüse bei der Tafel zu ergattern.
Dasz Deutschland die von der EU bereitgestellten Mittel zum Einkauf von frischen guten Lebensmitteln für Tafel-Besucher einfach nicht in Anspruch nimmt... weisz kaum jemand - - -

Alt, krank, arm oder behindert... da nimmt man es mit der Würde 
dann schon längst nicht mehr so genau.
Und das ist der Grund für mich, das Grundgesetz als "irgendwas von da oben" zu betrachten.
Weil es im tägl. Leben einfach nicht viel nütze ist.

Aber das alles (und noch viel mehr) weisz nur, wer es selbst miterlebt im tägl. Alltag.
Ich werde das nicht weiter beschreiben.


VII

Dasz Andrea Nahles einen Dreh gefunden hat, grundsicherungsangewiesenen Rentnern jede Rentenkürzung schon 4 Wochen im Voraus wegzunehmen...befördert sicher ihre Karriere, aber nicht ihre Beliebtheit (von Verbalentgleisungen mal abgesehn).
Mehrere solche öffentlich kaum wahrgenommenen Kürzungen gehen auf ihr Konto. Auch die Heizkostenpauschale (die oft nicht die tatsächl. Kosten abdeckt) wird inzwischen nur noch für 10 statt für 12 Monate gewährt.
So läszt sich doch fix mal ein erkleckliches Sümmchen einsparen.
Und für Menschen, denen ein 10-Euro-Schein ein Vermögen bedeutet,
ist es ein sehr schmerzhafter Einschnitt.

Möchte man dazu etwas Sachliches auf ihrer Facebook-Seite schreiben,
wird man sofort von unsichtbaren Sicherheitswächtern gesperrt.
Ein Recht auf freie Meinungsäuszerung ist das nicht mehr!
Soviel zur Demokratie.

VIII

Jeder Mensch, hier bei uns, hat das Recht - und gute Vorraussetzungen in Form von Frieden, relativer Sicherheit und Demokratie - sich das Beste zu machen aus seinem Leben.
Es zu gestalten nach seiner Fasson.
Planbar ist es in vielen Bereichen heute allerdings nicht mehr.
Spontanität kann natürlich auch Bereicherung sein und ein gutes Training.
Man hat immer noch (Bildungs-)Werte, mit denen man etwas anfangen kann.
Ganz selbst, für sich (weh denen, die solche nicht mehr in austreichendem Masze haben!)

Und ich denke, so für mich bekomme ich es auch gut hin mit entsprechender Kreativität.
Trotz aller Einschränkungen und häufiger Sorgen,
die ganz unvermittelt hereinbrechen können...
bin ich froh und dankbar für die Segnungen unserer Kultur,
die mir dies möglich machen.
Beklagen kann und will ich mich nicht.
Und - so gesehen - kann das wohl niemand, der dauerhaft hier lebt
und in unsere Kultur hineingeboren wurde.

Für jene, die herkommen und Schutz suchen - oder materielle Sicherheit -
sieht das oft schon sehr viel anders aus.
Und ich bin fassungslos wenn ich lese, wie es ihnen ergeht.
Manchmal einfach nur aus bürokratischen Gründen...
Helfen oder daran ändern kann ich nichts.
Das macht mich oft traurig.
Und ich wünsche mir, dasz so manches humaner wird in einer Kultur,
die auf Humanität gebaut ist.




So, das war das Wort zum Sonntag, liebe Astrid,
geschrieben bei einer Schale Grüntee mit Honig, meinem Lieblingsgetränk.

Und jetzt wünsche ich mir und allen Lesern Sonnenschein am Sonntag.

5 Kommentare:

  1. Habe es schnell lesen müssen, weil ich gleich eine kleine Reise unternehme, um fünf meiner Enkel zu sehen und Geburtstag zu feiern...Bei vielem ein zustimmendes Kopfnicken, bei manchem andere Erfahrungen, aber ich nehme gerne einen Anderen Blickwinkel ein, auch den eines Ossis, der doch Dinge erlebt hat, die ich nicht kenne ( umgekehrt ist es genauso ). Einig können wir uns sein, dass wir es auf unserer lieben Erde doch noch sehr gut angetroffen haben.
    Einen guten Tag!
    Astrid

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  2. God søndag til deg også :)

    KLem fra Anne-Mari

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  3. Beide Beiträge habe ich gerne gelesen... schön auch das Zitat, welches Du gefunden hast... das die Kultur ein farbiger Stoff ist... das werde ich mir merken. Liebe Grüsse Maren

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  4. Liebe Mascha, schön von dir zu lesen und gut auch eine Ahnung auch von deinen weniger guten Erfahrungen mit Demokratie und Gerechtigkeit in unserer Kultur zu haben. Und dennoch trägst du so viele Ressourcen (und Kultur!) in dir, um nicht nur klar zu kommen sondern dein Leben auf ganz besondere Weise zu leben. Sei herzlich gegrüßt - Ghislana

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  5. Wow, was für eine harte Kost, wo ich doch nur kurz durchscrollen wollte … Aber genauso wie ein anderer nachdenklicher Post von Dir, bin ich auch hier wieder fasziniert, wie Du viele Dinge auf den Punkt bringst. Und von der anderen Seite des ehemaligen Zauns betrachtet, war ich damals wirklich erschrocken, wie viele in den Grenznahen Gebieten schon 1994 auf der Strecke geblieben waren, als ich da als Wessi für den Konsum Marketingumfragen machen sollte, damit die Ausbeutung für die Westdeutschen Konzerne noch lukrativer wurde …
    Aber Du hast recht, trotz allem geht es den meisten hier noch gut - solange sie nicht auf der Flucht sind oder dem Goodwill der Behörden bzw. dem teilweise wirklich nicht nachvollziehbarem behördlichen Irrsinn ausgeliefert sind.
    Nur nach Amerika möchte ich auf keinen Fall reisen, geschweige denn dort leben. Da gibt es eine Reihe von Ansichten bei bestimmten Personengruppen, die mir echt noch mehr Angst machen, als es hier schon teilweise der Fall ist …
    Auch wenn es schade ist, dass die Umstände Dich zu so einem Post veranlassen, so finde ich es aber wirklich toll und mutig Deine Gedanken hier so zu äußern.
    Herbstliche Grüße schickt Dir Silke über die leider noch immer irgendwie vorhandene Grenze

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