Freitag, 2. März 2018

Stadt - Land - Wohnen. Teil I


Das Märzthema bei Susanne geht ums Wohnen, die eigene Situation und überhaupt.




Der Eigenheimanteil in Kleinstädten liegt vermutlich deutlich höher 
als in Wien und vergleichbaren Groszstädten.
Eine Statistik für unsere Stadt kann ich im Web nicht finden 
und mir ist auch nichts dazu aus der Presse bekannt.

Es gibt aber ganze Straszenzüge voll älterer Häuser, die seit Erbauung in Familienbesitz sind und nach Zusammenbruch der DDR gab es einen regelrechten Bauboom hier.
Häuslebauen ist einfach "in" und eine Immobilie eine Sicherheit
 in Zeiten unsicherer Renten.

In der DDR war das anders. Da kümmerten sich viele nicht so darum, schlieszlich waren die Mieten spottbillig (ich zahlte für 36 qm incl. Wasser, Abwasser, Müllgebühr 18 Mark im Monat, in etwa mein Nettolohn für 7h Arbeit) und ein Bau kostete viele Jahre, Nerven und Kraft. Eigenheime waren nicht selten Eigenleistungs-Jahrhundertbaustellen und daran konnte sogar die Ehe scheitern.
Gab es doch damals keine Baumärkte und nur wenige Stellen, woher man legal Baumaterial beziehen konnte und zwar dann, wenn man es gerade brauchte.
Entsprechend wurde natürlich auch viel irgendwo "abgezweigt" aus den Betrieben, 
die ja allen gehörten. Volkseigentum wörtlich genommen.
Den kleinen Anhänger für den Trabant nannte man "Klaufix".
Allerdings lag diese Art Cleverness dann auch nicht jedem 
und so blieb man meist, wo man war.

Die Vergabe der Wohnungen wurde vom Wohnungsamt bestimmt oder von den Wohnungskommissionen in den Betrieben. Letztere half damals auch mir, eine Butze zu finden. Gerade gut für ein Mädchen mit 19: mit Feuerherd, ohne Gas , nur Kaltwasser und die ersten 2 Jahre auch ohne Strom (ungewollt, aber ging wohl nicht anders: der Vormieter hatte den Stromzähler geklaut und neue gab es nicht).
Fenster mit zentimeterbreiten Ritzen, die Scheiben selbst eingekittet,
 damit sie nicht noch beim Putzen herausfallen...
Aber schön war es, zentral gelegen und romantisch der Blick über die Dächer der Stadt.
Ich hab sie geliebt, diese Wohnung und Jahrzehnte später noch oft geträumt,
 dort wieder einzuziehen...

Den Luxus abgeschlossener Wohnungen hatte man vielfach in älteren Mietshäusern nicht. Es herrschte Wohnungsknappheit und diese langen Korridore mit 8 und mehr Zimmern wurden meist willkürlich an mehrere Leute vermietet. Wie eine Art WG, aber zwangsweise und man muszte sich irgendwie arrangieren 
mit der gemeinsamen Sanitärnutzung etc.
Das konnte echt belastend werden, in meinem Korridor später auch, 
nach Tod, Wegzug und Neubelegung.
Eine andere Wohnung bekam man vom Amt deswegen aber nicht. 
Da blieb nur das Tauschen untereinander. 
Wobei man für eine "miese Butze" natürlich meist nur 
eine noch weit miesere Butze bekam. -

*

Die erste Plattenbausiedlung Anfang der Siebziger war für viele ein Aufatmen und ich höre bis heute den Stolz, wenn jemand sagte: Wir ziehen nach B.!
Nach verwohnten Ofenheizungs-und Gemeinschaftwohnungen war eine helle zentralbeheizte Wohnung das Paradies.

Um sich eine solche zu sichern, trat man am besten über den Betrieb in die AWG ein (Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft) und zahlte jeden Monat seinen Anteil an der Finanzierung des Wohnungsbaus.
Alternativ zum Geld konnten auch Aufbaustunden geleistet werden -
 ob und wie das praktiziert wurde, ist mir nicht bekannt.
Ich wollte nie in die Platte, das erschien mir zu uniform!

Aber viele Lehrer, Ärzte und sogar der Staatanwalt wohnten damals dort. 
Gemeinsam mit einfachen Menschen. 
Ich weisz es, denn ich war Briefträgerin und bin dort 
vielen netten Leuten begegnet.

Und vor allem: es gab dort auch gleich eine gute Infrastruktur: eine grosze Gaststätte mit Tanzabenden, ein Ärztehaus, Post, Kaufhalle, Schule, mehrere Kindergärten und Krippe.
Dinge, die bei heutiger Planung oft nicht berücksichtigt werden, 
denn Autobesitz ist ja Standard...

Noch heute ist die Sozialstruktur und das Klima dort in B. recht angenehm: 
einfache, aber herzliche Menschen, die sich helfen und sich gegenseitig 
zum Feiern einladen im Treppenaufgang.
Nachbarn, wie ich sie mir oft wünsche, hier in der Isolation, als Fremdkörper 
unter Ellenbogen-Neureichs und immer-schon-besser-Gewesenen.
Hätte ich mich nur damals, jünger und flexibler, 
mit der Platte angefreundet und an mich sie gewöhnt!
Aber ich hab lieber allerhand andere Erfahrungen mit Altbau gemacht und erlitten, 
um dann nach der Wende festzustellen, dasz freier Wohnungsmarkt 
zwar etwas Tolles, private Vermieter aber auch nicht so immer 
das Allerbeste sind -

Das zweite Plattenbauviertel, Mitte der Achtziger, nahm dann schnell eine andere Wendung und dort wird heute viel getan, um ein Ghetto zu verhindern.
Da gibt es kostenlose PC-und Bildungsangebote, Eltern-Kind-Spielstunden, Hausaufgabenbetreuung, gemeinsames Kochen und Backen 
bis hin zur Schreibaby-Ambulanz.
Angebote, die dem Rest der Stadt fehlen. Oder die anderswo nicht nötig sind (?)

Schön sanierte Innenstadtwohnungen sind für viele Menschen kaum erschwinglich.
Und wer es sich leisten kann, baut oder kauft.

Zu meiner eigenen Wohnstatt schreibe ich später, das wird sonst zu lang.





9 Kommentare:

  1. Ein bisschen Geschichtsstunde heute... aber gut für uninformierte Westler 😉
    LG
    Astrid

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  2. Wow! Da lerne ich viel! Danke dir! Hochinformativ!
    GLG aus Wien

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  3. ...my life has been so different from yours!

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  4. Da erinnert mich vieles an meine Jugend.
    Lieben Gruß
    Katala

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  5. Das gibt mir neue Einsichten in die DDR Geschichte .. Du hättest Journalisten werden sollen !
    Hab ein schönes WE !
    Gruß
    Susi

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  6. waue great photos great Stadt land ;O)

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  7. Wirklich spannend zu lesen!
    Vor allem, da ich so um 1994 in Halberstadt war, um dort Interviews für ein Marktforschungsinstitut zu machen. Dort habe ich so einige Wohnungen vom Plattenbau bis zum fast verfallenen Siedlungshaus zu sehen bekommen. Dazu noch die Berichte meines Vaters von seinen Heimatbesuchen in Riesa von den 70ern bis nach der Wende. Und dann die sanierten Plattenbauten nach 2000, als ich seine Wohnung in Dresden auflöste. Und jetzt ist die Fallhöhe anders extrem. In Quedlinburg ist mir das allerdings noch mehr aufgefallen, wo liebevoll restaurierte Häuser neben 'schick' kaputtsanierten Häusern und abgesperrten Ruinen stehen. Das sind allerdings ja nur Äußerlichkeiten. Dahinter wohnen ja auch Menschen …
    LG Silke

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  8. Liebe Mascha,
    ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll...ich bin geplättet. Ich habe in diesem Post so viel Neues erfahren. Du wärst eine gute Geschichtslehrerin geworden, mit einem sehr lebendigen und ehrlichen Erzählstil. Was ich noch zutiefst bewundere ist Deine Genügsamkeit, Deine Zufriedenheit, Deine stille Akzeptanz von Dingen, die damals wohl nicht zu ändern waren...Eines ist sicher, zur nächsten Geschichtsstunde werde ich wieder dabei sein! Hab vielen Dank und alles Liebe für Dich
    Heidi

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  9. So spannend und ergreifend zu lesen.Und- obwohl ein Familienmitglied für vier Jahre im Nordosten in Warnemünde gewohnt hat, ist es trotzdem eine andere Wohngeschichte gewesen.
    Vielen lieben Dank für deine ehrlichen Worte.
    Ein schönes Wochenende
    heiDE

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