Mittwoch, 4. April 2018

Stadt - Land - Menschen



Wie ist das bei Euch so?

Wer lebt denn so bei euch?
Was sind das für Menschen?
Eure Nachbarn?
Der Ort?
Gibt's bei euch auch Horden von Touristen?
Wie steht es mit den Flüchtlingen?
Wie sieht es aus mit Menschen aus Afrika?
Reich und arm?
Ach, ich könnt' mich deppatfragen.
Jung oder alt, oder beides?
Viele Kinder?
Wen kennt ihr denn so aller?
Kennt ihr euren ganzen Ort? Gibt's das noch?

Das sind die Fragen, die Susanne uns diesen Monat stellt.


Fragen, die für mich nicht einfach sind.
Menschen sind wohl das Schwierigste überhaupt.



Nein, ich kenne nicht den ganzen Ort, bei ca. 30 000 EW geht das nicht mehr.
Ich kenne ja nicht einmal meine allernächsten Nachbarn.
Die Namen erfahre ich höchstens mal zufällig, wenn die Post Briefe
 falsch zugestellt hat. Kontakte gibt es nicht.
Wenn sich Nachbarn durch die Gartenhecke quetschen, meine Beete zertreten 
um ihren verschossenen Fussball wiederzuholen, tut mir das zwar in der Seele weh, 
dagegen wehren kann ich mich jedoch nicht.
Sowas bringe ich nicht. Besser also gar nicht hinschauen.
Und irgendein Ansehen hab ich hier sowieso nicht. 
Ich hatte es ja schon im Startbeitrag angedeutet: ich bewohne 
das "Armenhaus" dieser sauberen ordentlichen Strasse. 
Wo man nach Automarke und Besitz eingeordnet wird.

*
Menschen gibt es in meinem Leben nur sehr wenige.
Die meisten leben ausserhalb dieser Stadt bzw. sind irgendwann hier weggezogen.
Ich kenne kaum jemanden hier.
 Dagegen gibt es aber wohl ziemlich viele, die mich "kennen" (ohne je
 mit mir gesprochen zu haben), tuscheln oder mich gelegentlich 
auch offen  anpöbeln
 So ist das eben, wenn man hier anders ist. Behindert. 
Zu bunt oder sonstwas. Deplatziert.

*

Dabei bin ich im Wesen nicht feindselig. 
Naiv und vertrauend (bis zur gegenteiligen Erfahrung).
Ich freue mich, wenn jemand freundlich ist zu mir. 
Kann dann nicht einschätzen, wie ehrlich oder "zweckgebunden" das gemeint ist.
Nehme Versprechungen ernst, die offenbar nur so dahingesagt waren.
Gehe oft irgendjemandem auf den Leim, lasse mir etwas aufschwatzen,
 mich zu irgendwelchen unbezahlten Aufgaben überreden etc.
Wenn ich das dann erledigt habe, kommt nicht selten der symbolische
 Tritt ins Kreuz. Dann bin ich nicht mehr nötig.
 Dann braucht man mich nicht mehr.
Habe inzwischen aufgegeben, mich in Kirchengemeinde oder sonstwo zu engagieren.
 Immer die Arbeit zu tun ("wenn sie nun mal so blöd ist - - "). 
Zu persönlichen Kontakten hat das leider doch nie geführt.
Und selbst mal um Hilfe bitten kann ich sowieso nicht.
Oder nur irgendwo nach dem Weg fragen.

*

Ja, Scharen von Touristen gibt hier, davon lebt die Stadt.
Ausländer, die dauerhaft hier wohnen, sind eine verschwindende Minderheit.
Hauptsächlich Vietnamesen, die die DDR seinerzeit als Gastarbeiter ins Land geholt hat. Sie lebten damals völlig abgeschottet in Wohnheimen, Kontakte zur Bevölkerung waren unerwünscht und wurden erfolgreich verhindert. Ähnlich war es mit jungen Leuten aus Afghanistan, Mosambique oder Laos, die kurzzeitig zwecks Ausbildung und Arbeit hier weilten. Immer hübsch getrennt. Vermutlich liegt darin die unrühmliche Ausländerfeindlichkeit der östl. Bundesländer begründet: die Erfahrung von Fremden als ganz normale Mitbürger und Nachbarn wurde uns verwehrt. 
Das wirkt bis heute nach.

Die  in den Wirren der Wendezeit hier gebliebenen Vietnamesen sind asiatisch freundlich, aber sonst eine Gruppe, die unter sich bleibt. Schlechte Erfahrungen inclusive, von den Bevölkerung abfällig "Fidschis" genannt (warum, habe ich nie verstanden). Sie schlagen sich als (teils mobile) Textilhändler durch, betreiben preiswerte Restaurants und Imbisse. Reich  werden sie dabei ganz sicher nicht - den einen Imbissbetreiber sahen wir auf dem Hartz-IV-Amt sitzen. Vermutlich genauso ein sogenannter Aufstocker, wie ganz viele Arbeitnehmer, deren Einkommen unterhalb  der Sozialleistungen liegt. 
Der Billiglohnsektor ist das Einzige, was hier funktioniert.
Eine ganze Menge Spätaussiedler sehe ich bei der Tafel stehen. 
Kontakt zu uns Einheimischen ist aber ihrerseits wohl nicht so erwünscht.
Manchmal auf dem Amt sehe ich jemanden aus Afrika, aber selten.
Flüchtlinge sehe ich kaum. In der Zeitung stand mal etwas von 19 Jugendlichen,
 die in einem Heim von wesentlich mehr Fachkräften betreut würden.
Das muss alles sehr gut organisiert und ordentlich sein.

Ich persönlich würde mich gern in der Flüchtlingsarbeit engagieren, doch ohne Auto 
fehlt mir dazu die Möglichkeit. Denn ich müsste in eine andere Stadt fahren, 
wo das Aufnahmelager ist.

Im grossen Ganzen habe ich mit Ausländern weniger Probleme als mit Landsleuten. 
Wenn beide gutwillig sind, ist die Sprachbarriere allemal zu überwinden (beim "Roten Kreuz" hatte ich damals eine Zeigetafel gemalt mit allem, was evtl. gebraucht wird) und da beide fremd sind, andere Sitten haben, ist vieles für mich leichter und ich muss nicht so viele ungesagte Erwartungen erfüllen,
 das, was ich oft nicht beherrsche oder verstehen kann.

*

Kinder gibt es inzwischen wieder mehr als in den Jahren nach der Wende.
Aber längst nicht so viele wie in der DDR.
Wenn ich damals samstags als Postfrau kam und die Sonne schien... dann wimmelte die Strasse vor den Häuserblocks nur so von Kindern , so dass ich 
mit meiner Postkarre kaum durch kam.
Ein Anblick, den es heute nicht mehr gibt.
Spielplätze sehe ich häufig leer bzw. nur zeitweise von Kindergartengruppen besucht.
Etliche Schulen wurden geschlossen und die, die zu meiner Schulzeit 800-900 
Schüler hatten, haben heute ca. 300 (Angabe aus Lokalpresse).

Durch die Hochschule sieht man viele junge Leute im Stadtbild.
 Aber die bleiben nicht hier.
Wer bleibt, sind eher Senioren. Die Bilder in der Zeitung 
 von der Frauentagsfeier im Rathaus zeigten einen Klub 70+.
So ist das fast bei jeder Veranstaltung.
Die Generation dazwischen pendelt oft weite Strecken zur Arbeit 
oder zieht ganz und gar weg.
Die bleiben (müssen), sind die Billiglöhner und Arbeitslosen.

*

Die Stimmung hier ist nicht unbedingt freundlich und zufrieden.
Eher aggressiv und von einer Zu-kurz-gekommen-Mentalität beherrscht.
Tendenz steigend.
Ich höre viel Gemotze und einer regt sich über den anderen auf, ob bei der "Tafel", oder was ich sonst so mitbekomme von Gesprächen auf der Strasse oder in Wartezimmern.
Die Facebook-Gruppe dieser Stadt mag ich deswegen gar nicht besuchen.
Und es passiert schon öfter, dass ich z.B. frühmorgens im Schritttempo durch die Fussgängerzone radelnd (offiziell bis 10:00 erlaubt), Sprüche zu hören bekomme a la "Die müsste man alle runtertreten, dass sie im Dreck landen!"

Wenn ich's vermeiden kann, gehe ich lieber nicht in die Stadt.


*
PS: Alles, was ich in meinem Blog schreibe, ist mein eigener, subjektiver Eindruck, meine persönl. Gedanken und Erfahrungen. Es erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, politische Korrektheit und wurde von mir auch nicht geschrieben, um jemanden zu beleidigen.
 Es ist alles rein sachlich gemeint.

4 Kommentare:

  1. ...I've never wanted to live in the city.

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  2. Unfassbar! Die Situation, die du schilderst an sich. Und der Unterschied zu hier bei mir im Besonderen. Es könnte kaum krasser sein

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  3. Das ist nicht gerade eine Empfehlung für deine Stadt, aber ich glaube dir gerne, dass es so ist, habe ich in den 1950er Jahren die Provinz ganz ähnlich erlebt ( allerdings hat sich da doch einiges getan, was Toleranz und Bereitschaft, auf Fremde zuzugehen, sozusagen aus gelebtem Christentum, anbelangt ).
    Innere Leere scheint da viele deiner Mitbürger zu plagen und die mangelnde Bereitschaft, Neid als eigenes Problem zu sehen, an das man selbst herangehen muss. Sonst würde man nicht so mit dir umgehen...
    Alles Liebe!
    Astrid

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  4. Auch ich bin leicht entsetzt über die Zustände und Lebensumstände, die du da schilderst.
    Das klingt ja wie in grauer Vorzeit!
    Und es tut mir sehr leid für dich, dass es dir so schwer gemacht wird, wirklich.
    Aber gegen Dummheit ist nun mal kein Kraut gewachsen . . . so heißt es doch!
    Liebe Mascha, lass dich nicht unterkriegen. Lebe dein Leben so, wie du es willst.
    Aber dass es nicht einfach ist kann ich mir schon vorstellen.
    Danke, dass du so offen darüber schreibst und uns an deinem Leben teilhaben lässt.
    Ganz ♥liche Grüße
    Jutta

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