Samstag, 9. März 2024

Das weisze Pferd seiner Kindheit

 

Stimmengewirr. Schreie. Flammen.
Das Lager in Brand gesteckt. Wieder einmal. 
Fliehen. 
Schutz suchen im Wald. Weiterziehn.
Neue Lager. Neue Brände.
Die Stimme des Groszvaters: Junge, wenn Du in Not bist, 
wird das weisze Pferd dich retten.
Dazu der Klang seines Akkordeons.
 
Das weisze Pferd. Es hatte ihn oft gerettet damals.
Doch dann kamen sie wieder.
Erschlugen sieben von ihnen, den Groszvater auch.
Ende. Aus.
 
Nachts, als endlich Ruhe eingekehrt war, nahm er das Akkordeon und stahl sich davon. 
Schlafendes Lager. 
Schlafender Wald. 
Nur ein Käuzchen. 
Und weit in die Ferne entfloh ihm das weisze Pferd.

Der Gadscho, der die Fotos gemacht hatte vor ein paar Wochen,
hatte ihm eine Adresse zugesteckt.
So zog er nun in die Stadt, fort von der Sippe.
Ein Abschied für immer. Das war ihm klar.
Mit den Gadsche kläszt man sich nicht ein.

Einige Gadsche halfen ihm. 
Er konnte lernen. Buchstaben, Zahlen und Noten.
Groszvaters Akkordeon war sein Heiligtum und sein bester Freund.
Dazugehört hat er ja doch nie. 
Nirgendwo.

Er spielte virtuos.
Bekam einen Plattenvertrag. Konzerte. Tourneen.
Sein Bild auf Plakaten.
Menschen, die seine Gesellschaft suchten. 
Die richtigen Freunde auch?

Nach dem Konzert im Hotel das Fest.
Sie hatten getrunken. Einer pöbelte. Es gab eine Schlägerei.
Ein Klirren und Krachen. Einer stand nicht mehr auf.
Das hatte keiner gewollt!
Klammheimlich stahl er sich davon. Darin hatte er Übung.

Er war es nicht. Doch wer würde einem Roma glauben?
Die Polizei war schnell da, ins Zimmer konnte er nicht mehr.
Muszte es zurück lassen. Das über alles geliebte Akkordeon.

Wieder auf der Flucht. Wald. Kälte, Hunger, Straszen bei Nacht.
Zwei Grenzen überqueren. Fremdes Land.
Niemand folgte ihm. Er hatte es geschafft!

Manchmal zog er eine Zeit mit den Berbern umher.
Manchmal gab es Arbeit auf einem Hof.
Manchmal auch Stehlen vor Hunger. 
Und irgendwo von einer Wäscheleine ein Kleidungsstück.

So gingen Jahrzehnte dahin. Seine Finger wurden ungelenk und steif.
Das Wandern ging nicht mehr so.
Er fand eine Hütte, die bot ihm Schutz genug.
Und nachts streifte er einsam durch die Straszen der Stadt. 
Streichelte die Katzen. Sprach mit ihnen Romani.
Vergessene Sprache. Tief innen versteckt.
Katzen verstehen das.

Da sah er das Haus. Es stand offen. Halb ausgeräumt.
Im Container blitzte etwas im Mondlicht - ein Akkordeon!
Er muszte weinen.
Der Groszvater. Das weisze Pferd.

Er nahm es sich. Es war nicht einmal gestohlen.
Seine Finger wollten nicht mehr. Er übte und übte.
Langsam kamen sie zu ihm zurück. All die Melodien.
Er dachte daran, wie die Leute gejubelt hatten in den Konzerten.
Wie der Klang ihre Herzen erreicht hatte.
Warum nicht noch einmal?

Nur: erkennen durfte ihn niemand.
Wer weisz, wer vielleicht noch eine seiner Platten besasz?
Auch wenn ihn Jahrhunderte vergangen dünkten seither.

Da kam ihn eine Idee.
Und er setzte sich auf den Marktplatz. Hub an zu spielen.
Ob einer zuhörte, interessierte ihn nicht.
Groszvaters Melodien.
Das weisze Pferd seiner Kindheit hatte ihn noch einmal gerettet.



 Ich bedanke mich bei Myriades Impulswerkstatt für das Inspirationsbild 

 

 

 

1 Kommentar:

  1. Gefällt mir sehr, Sprache und Inhalt und eine Geschichte, die sich durchaus so abgespielt haben könnte. Deine Texte sind eindeutig ein Gewinn für die Impulswerkstatt ! Vielen Dank für den gelungenen Beitrag. LG Myriade

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