Dienstag, 27. August 2024

Vom Spielen. Einst und jetzt.

 

 Was spielst Du und warum? - fragt Ilka Kind in ihrer Blogparade.
 Kurz vor Toresschlusz hab ich das glücklicherweise noch gesehn. 
 
*

"Geh raus, geh spielen!" war einer der alltäglichen Sätze meiner Kinderzeit.
Sagt das eigentlich heute noch irgend jemand zu einem Kind?
Ich sehe jedenfalls drauszen nur selten spielende Kinder.
Auf dem Spielplatz vielleicht, in Begleitung von Eltern oder Kindergärtnerin.
 
Wir durften seinerzeit viel unkontrollierter herumtoben. Nahmen Straszen,
 Spielplätze, Höfe und Gärten einfach in Besitz.
Da wurde durch Zaunlücken von einem Garten in den nächsten gejagt.
Damals beschwerte sich darüber auch kaum jemand. 

Der "Pionierpark" mit seinen Bäumen und Büschen, den Klettergerüsten 
und anderen Spielgeräten war immer gut besucht. Die nahe gelegene
 Spielstrasze ohne Autoverkehr auch.

Gruppen-Singspiele waren Anfang der 60er bereits im Niedergang.
Ich hörte noch einige auf der Spielstrasze, als ich selbst dafür noch zu klein war.
 
"Ein wunderschönes Mädchen, Mareike genannt,
das hatte sich verliebet in Micha seine Hand... "

Was sich davon am längsten hielt, war wohl "Es kamen zwei vom Kaffeklatsch"
Eine Art Sing-Sprech-Spiel mit eindeutigem Tratsch-Bezug...

Abzählreime wurden für viele Spielanfänge gebraucht und
"Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?" war damals auch noch beliebt.
Der Fischer auf der anderen Straszenseite sagte dann eine Meterzahl.
Nächste Frage der Gruppe: "Wie kommt man da rüber?"
Da gab es dann Ratschläge wie "auf einem Bein hüpfen", "auf allen Vieren", 
"Fliegen", "schwimmen" etc.
Dann hüpften oder rannten alle rüber, Schwimmbewegungen imitierend 
und der Fischer versuchte Kinder einzufangen.
Die blieben dann auf seiner Seite und waren Fänger beim nächsten Mal.
Das letzte ungefangene Kind wurde dann Fischer und es begann alles von vorn.

In Dreierkonstellationen wurde gern "Mutter, Vater, Kind" gespielt.
Das mochte ich überhaupt nicht, denn die sozialen Dinge verstand ich nicht gut.
Dafür bekam ich ständig Anweisung: Du muszt jetzt dies, Du muszt jetzt das...
aber sowas gefiel mir nicht und ich flüchtete meist schnell.

Gummitwist oder Huppekasten spielte ich gern, das waren die leiseren Spiele.
Zwei Kinder hielten eine Gummischlinge um die Beine gespannt, 
ein Drittes hüfte über die Fäden. Verschieden hoher Schwierigkeitsgrad.
Oder durch die mit Kreide auf den Asphalt gezeichneten Kästchen springen,
ohne auf die Linien zu treten. Da gab es auch Sprünge von einfach bis kunstvoll...
 
"Abnehmen" mochte ich auch. Das war ein Finger-Fadenspiel 
zwischen mindestens zwei Kindern.

Ansonsten waren mir die Spiele der andern teils unverständlich, teils zu laut.
"Räuber und Polle" ging grad noch und manchmal war mir nach Toben
und Verstecken spielen mochte ich auch.
Meine Verstecke waren oft sehr kreativ und dienten nicht selten dem unauffälligen Verschwinden aus der Gruppensituation. Wenns mir zuviel wurde.

Ich war halt gerne allein, verkrümelte mich ins Gebüsch oder auf die noble Sandsteinterrassentreppe des Pionierhauses (alte schloszartige Fabrikantenvilla).
Lief rauf bis zum Pferdestall.
Dachte mir etwas aus, redete mit imaginären Naturgeistern.
 
"Wenn es  läutet", muszten alle Kinder heim. Das war um 18:00,
ich weisz nicht mehr warum, aber da läuteten immer die Kirchenglocken.
Uhren hatten wird Kinder noch nicht und viele konnten sie auch noch nicht lesen.

Ich war manchmal so vertieft, dasz ich das Läuten schlicht überhörte 
und dann gab es Ärger. Aber auch nicht gar so schlimm.
Ich war gern drauszen. Bei fast jedem Wetter.
Lief auch oft in den Wald zu einem hohlen Baum.
Das durfte ich auch. Ganz alleine.

*

Gesellschaftsspiele kenne ich kaum.
Als ich klein war, spielten meine Groszeltern mit mir "Mensch-ärgere-dich-nicht"
und "Spitz pasz auf!" - auch so ein heute vergessenes Würfelspiel.

Ich ging noch nicht zur Schule, da brachte mir Opa Schachspielen bei
und wir spielten so manche Partie.
Ob ich die Regeln beherrschte und richtig anwandte, kann ich nicht mehr sagen.
Ich hab es seitdem auch nie wieder gespielt.
 
Opa baute mir mehrmals einen Drachen, ich bemalte ihn bunt.
Wenn einer wegflog, war ich immer traurig...
 

In meinem Elternhaus galten Familien-Brettspiele als Zeitverschwendung.
Da wurde lieber "etwas Sinnvolles" getan, statt die Zeit zu vertrödeln.

Genau so war es auch mit den Puzzles, die uns gelegentlich ein Onkel "vom Westen" mitbrachte. Mutter fand sowas doof und liesz die Kästen sofort nach seiner Abreise
verschwinden (bei einem Trödelhändler gab es dafür relativ viel Geld).
So bin ich niemals in den Genusz des Puzzelns gekommen bzw. habe diese
Beschäftigung erst kurz vor meinem 60. Lebensjahr endlich entdeckt
(und höre im Geiste immer noch Mutters Miszbilligung ob solcher
 Zeitverschwendung). Aber davon später.
 
 
Abends vorm Schlafengehn wurde bei uns meist vorgelesen.
Ich konnte es zwar bald selbst, aber mein jüngerer Bruder noch nicht.
Mit seiner LRS war er auch noch lange nach Einschulung darauf angewiesen.
Und daraus entwickelte sich dann das Bücher-Raten.
War die Familie einmal vollzählig zu einer Mahlzeit versammelt 
und es hatte grad mal niemand vorher Streit, schlechte Laune oder Schweigezeit...
ging das Raten während des Essens munter hin und her.
Einer zitierte einen Satz aus einem Buch und wer es erriet,
durfte das nächste Zitat bringen.
Nicht selten wurden dann auch noch die Bücher geholt, um die Korrektheit 
nachzuprüfen und es endete oft in erneutem Vorlesen.

*


Ich später allein habe kein einziges Gesellschaftsspiel gespielt.
Mir fehlten die Mitspieler, einen Freundeskreis, der sich zu Spieleabenden traf, 
hatte ich nie und ich fand auch immer andere Beschäftigung.
Eingedenk Mutters "in der Zeit kannste was Sinnvolleres machen".
Ich weisz bis heute nicht, was es da jetzt alles für Spiele gibt. 
Das hat mich auch nie wirklich interessiert.

Ich habe meinen Spieltrieb ganz selbstverständlich in den Alltag integriert. 
Da kann ich schon manchmal allerhand harmlosen Blödsinn machen
oder spielerisch mit Farben umgehen, ob in Kleidung oder Dekoration.
Wortspiele, Schüttelreime, Schattenspiele mit den Händen -  mir fällt
 so manches ein, worüber spieszig gewordene Altersgenossen
verständnislos mit dem Kopf schütteln.  
Ein spielerisch-kreativer Alltag ist für mich das A und O zum Überleben.
 
Früher gab es hier im Blog die fotografierten Bärengeschichten,  
in denen meine stofflichen Hausgenossen das Wort führen.
Die leben auch ganz selbstverständlich bei mir.
 
An Gedulds-und Geschicklichkeitsspielen wie Schiebefax
oder irgendwas mit Kugeln... habe ich bis heute gelegentlich Freude.
Solche Sachen mochte ich schon immer gern.
 
Ein PC-Spiel, Gameboy, Tamagotchi und was es da gab und gibt...
hat mich dagegen nie gereizt.

Mit fast Sechzig habe ich dann doch noch meine Liebe zum Puzzeln entdeckt.
Das ist spannend und entspannend zugleich.
Kann ich oft gar nicht wieder aufhören! 



*
 
Die Spielekultur hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt.
Mit Aufkommen von TV und später PC, Spielekonsolen und Smartphone
ist viel Kurzweil von früher in Vergessenheit geraten.
Die Zeiten ändern sich.

*

Zum Abschlusz noch zwei Reim-Rätsel, 
die vermutlich aus der Biedermeierzeit stammen:

 
I
 
Ein jeder hat's
im Grabe ruht's
der Herr befiehlt's
der Kutscher tut's.
 
II
 
Vereint sollt's jedes Mädchen haben.
Entzweit darf's fehlen keinem Knaben.
 
 
 
Solche Rätsel kannte ich in meiner Kindheit noch viele.
Heute hätte ich gern ein Buch voll damit...  
 

Auflösung: I - Vorfahren, II - Anmut




 
 

6 Kommentare:

  1. Ich lese deine Texte so gerne, weil sie mir oft wie Nachrichten aus einer anderen Welt vorkommen und einen hohen Gehalt an Informationen über Leben in der DDR enthalten. Ich kommentiere nur nicht oft.

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  2. Machen es die paar Jahre Unterschied, oder hatten sich da Ost und West doch schon so auseinander entwickelt? Einiges, was Du bescheibst, kommt mir so herrlich vertraut vor, und anderes sagt mir nix.
    Allerdings hatte ich schon bei zwei Mädchen einen Unterschied festgestellt: die eine war 2 Jahre älter und die andere sogar 4. Da hielt das gemeinsame spielen auf der Straße nicht lange an. Zum Glück gab es aber einige Zeit noch andere Kinder im passenderen Alter. Aber ob das wirklich so viel gemeinsames Spielen auf der Straße war?
    Puzzeln und Canaster, waren dann die schönsten Beschäftigungen zusammen mit anderen Kindern und Erwachsenen bei schlechtem Wetter und am Abend in der Pension auf Amrum in den 70ern ...

    Nein, gespielt wurde mit anderen Kindern sonst draußen, und drinnen dann manchmal Brettspiele in der kalten Jahreszeit mit meinen Großeltern und meiner Mutter. Aber ich habe auch gerne und viel allein gespielt. Mit Puppenhaus, Plüschtieren und Puppen, sowie draußen im Garten Butzenbauen und Wassergräben durch die Rosen an der Rasenkante ziehen. Es war eine Mischung zwischen drinnen und draußen - ja nach Wetter. Nur heiße Sommertage mochte ich schon als Kind anscheinend nicht. Dann lieber im Schnee toben.

    Schade, dass es oft so klingt, als ob Deine Mutter wie 'die böse Stiefmutter' im Märchen war, und so vieles an Entfaltungsmöglichkeiten bei Dir einschränken oder gar verhindern wollte. Und wie gut, dass es Deine Großeltern gab :-)

    So, nach diesem Ausflug in die Vergangenheit, kehre ich jetzt in die Gegenwart zurück, und bin wieder an einem Morgen ohne Finja angekommen ... Gestern gab es abends noch einen Hoffnungsschimmer. Aber das war wieder das graue Tier vom letzten Mal. Diesmal nur sogar extra eingesperrt. Gut, dass Wolfgang schnell hingefahren war!
    LG Silke

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    1. Guten Morgen liebe Silke,
      dannke für Deinen ausführlichen Kommentar. Natürlich habe ich auch viel allein gespielt, drauszen und drinnen (wohin ich keine anderen Kinder mitbringen mochte) das hab ich ja auch angedeutet...aber ich habe den Schwerpunkt hier mehr auf diesen Satz: "Geh raus, geh spielen! gelegt". Und die Auszenwelt war damals - bei uns - von Kindern übervölkert. Da gab es auch nicht diesen Eigenheimbesitz und die gepflegten Gärten: in die älteren Villen und Mietshäuser wurden viel zu viele Mieter hineingestopft. Mancher baute sich im Garten einen Hühnerstall oder ein Gewächshaus, aber sonst war das alles eher Gemeingut und nicht so schön von Einzelpersonen gestaltet wie heute. Da hatten die Zäune Lücken oder waren gar nicht mehr da und da rannten halt alle durch. Schimpfte schon mal eine Nachbarin, weil wir permanent unter der Wäscheleine durchliefen und das Laken war dann nicht mehr sauber...aber viel Gehör fand sie nicht -
      Alles kann man nicht in ein Post packen und mit Gesellschaftsspielen fehlt mir halt wirklich die Erfahrung. Als ich 5-8 Jahre war, bei den Groszeltern, später war Oma dann zu blind und sonst spielte halt niemand mit mir/uns.
      Alleine beschäftigen konnte ich mich dafür auch immer gut. Puppen waren nie so mein Ding (erst jetzt hab ich diese Stoffpuppen-Wesen Mü und Leokadia) und die Geschichte des Puppenhauses hab ich mal anderswo erwähnt - ich hatte leider kaum etwas davon und war wohl auch eher eine, die in den Apfelbaum klettert zum Lesen. Und die ansonsten ganz viel Bewegungsdrang hatte.
      Mutters Rolle war häufig sehr unrühmlich, vieles davon möchte ich auch gar nicht schreiben.

      Das sind keine guten Neuigkeiten bei Euch, da wird die Hoffnung immer geringer - das tut mir so leid!
      Ich habs jetzt eilig, heut ist die grosze Kau**and-Radtour fällig und das möglichst noch nicht bei voller Sonne
      Macht es gut :)

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    2. Oh, und dann nimmst Du Dir noch Zeit für so eine lange Antwort!
      Auch wenn ich zu den inzwischen schwierigen Babyboomern gehöre, so kamen nach mir kaum noch Kinder nach. In größeren Familien waren die Kinder, mit denen ich spielte schon die Nachzügler. Wenn hatten sie fast alle größere Geschwister ... Bei Euch war das sicherlich mit dem Wohnraum damals schon schwieriger. Aber ich bin in einer Siedlung großgeworden, die für Arbeiter in den 30ern entstand, mit etwas Nutzgarten zum Selbstversorgen. Als mein Großvater 1958 das Haus kaufte, wohnten zuvor 7 Personen auf einer Hausgrundfläche von 7x7m. Und erst so nach und nach konnten sich die anderen Bewohner Anbauten leisten. Und es gab auch noch in meiner Kinderzeit herrliche verlassene Grundstücke, wo man durch Zaunlücken krabbeln konnte. Nur eben nicht so viele wie es häufiger in Filmen der Nachkriegszeit gezeigt wurde ...
      Ganz vergessen habe ich das Verkleiden mit den Klamotten aus alten Koffern - das ging sogar im Garten. Denn bei uns gab es schon Rasen und Edelrosen drum herum. Erst als mein Vater schon tot war, erfuhr ich von seiner letzten Partnerin so nebenbei, dass er damals in Riesa gerne Gärtner geworden wäre, aber das Regime mit ihm anderes vorhatte.
      Und an Deine traurige Puppenstubengeschichte erinnere ich mich noch sehr gut ...
      Wie viel Aufwand dahinter steckt solche Plüsch- und Stoffpuppen-Geschichten hier zu erzählen, bedeutet wirklich einiges an Ruhe, Zeit und Glenkigkeit. Schade, dass Dir das inzwischen auch schwerer fällt ...
      Ich hoffe Dein Einkauf war erfolgreich!
      LG Silke, die heute wohl noch nicht zum Maunztag kommt. Im Moment wühle ich mich durch die Katzensuche-FB-Gruppen etc :-(

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    3. Halbwegs erfolgreich - ich musz morgen früh nochmal fahren. Aber da wird es zum Glück kühler sein.
      Jaa, das Verkleiden - ich hatte überlegt, das auch noch reinzubringen, fand den Beitrag aber ohnehin schon lang genug. In gewisser Weise verkleide ich mich ja noch immer gern ;)
      Leider vermisse ich seit der groszen Renovierung 2015 meinen Karton mit alten Fotos, so hatte ich hier nicht mal ein Kinderbild. Mit Krönchen, made by Opa...
      Ich denke noch oft an den Kastendrachen von damals, den hatte er so schön gemacht und der flog höher und höher, die Strippe war längst zuende... Freigelassen eben.
      Ja, so zerplatzen die Träume, in der DDR wurde nach Berufswünschen nicht immer gefragt. Das ging oft nach Erfordernissen.
      Werd jetzt noch zum Foodsharing fahren, machs gut und Gute Nacht :)

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  3. Liebe Mascha,
    ganz vielen Dank, dass du mit deinem interessanten Artikel an meiner Blogparade teilgenommen hast!
    Weiterhin viel Spaß beim Spielen
    Ilka

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