Wer einsam ist, der hat es gut,
weil keiner da, der ihm was tut.
- Wilhelm Busch -
Was macht Einsamkeit mit uns? fragt Gesa Oldekamp in einer Blogparade
Als junge Postfrau lernte ich auf einer meiner wechselnden Touren
eine liebenswerte ältere Dame kennen: aufgeschlossen, kontaktfreudig,
gebildet, charmant und mit leichtem hamburger "Akzent".
Ziemlich frisch in Rente, war sie vorher Leiterin einer groszen Buchhandlung gewesen,
dort hatte ich sie auch öfter schon gesehen.
Sie wohnte in einen kleinen alten Häuschen am Berghang, umgeben von Bäumen.
Direkte Nachbarn gab es dort nicht.
Und weil mich also niemand beobachten konnte... nahm ich ihre Einladungen
zum Tee oder zu einem Teller Suppe gern an und machte dort Pause.
Wir haben gemeinsam Gedichte gelesen und fanden immer ein Gesprächsthema,
so dasz ich sie auch nachmittags gelegentlich besuchte -
sie war einesehr angenehme Gesellschaft.
Ihr Mann ging noch arbeiten und kam erst abends heim.
Sie schien auch über praktische Fähigkeiten zu verfügen, einmal sagte sie:
"Der XX (Jäger) liegt im Krankenhaus, denn er ist mit seinem Hochsitz zusammen gebrochen. Das kann meinem Mann aber nicht passieren, da habe ich mit gebaut!"
Bald darauf starb ihr Mann sehr plötzlich und sie selbst war wie ausgewechselt.
Von ihr hörte ich erstmals den obigen Spruch und das war nicht positiv gemeint.
Sie war es offenbar nicht gewohnt, alleine zu leben
und die Einsamkeit bekam ihr gar nicht gut.
Sie hat ganz sicher vieles dagegen zu unternommen, aber nichts hat ihr
den Verlust auch nur ein klein wenig ausgleichen können.
Sie wurde zusehends depressiver.
Verkaufte das Häuschen, zog in ein belebtes Viertel und vegetierte bald nur noch dahin.
Besuchte ich sie, hörte ich jedes mal kaum etwa anderes als die Klage über Einsamkeit.
Sehr viel später sah ich sie, inzwischen steinalt und etwas tüddelig, stundenweise in
einem kleinen Antiquariat aushelfen. Ob ihr der griesgrämige und ewig klamme
Inhaber einen angemessenen Lohn dafür gezahlt hat... wage ich zu bezweifeln.
Aber Geld war auch ganz sicher auch nicht ihre Intention.
*
Es war für mich ziemlich erschreckend, diese Verwandlung mitzuerleben.
Ich selbst empfand den Spruch nämlich durchaus nicht negativ.
Aus einer Familie kommend, wo nicht alles so war, wie es sein sollte
und es Tage gab (besonders an Feiertagen), wo jeder dem andern "sin Deibel" war...
hatte ich das Alleinsein in meiner eigenen kleinen Wohnung sehr zu schätzen gelernt.
Und meinen kindlichen Entschlusz, niemals zu heiraten, um nicht so etwas
wie meine Eltern zu haben, hat sich bis heute für mich als richtig erwiesen.
Partner hatte/habe ich durchaus, aber immer mit etwas Abstand, ohne
ständiges Zusammenleben - das gefällt mir so besser!
Doch, auch ich habe mich - besonders in jungen Jahren - oft einsam gefühlt.
Immer dann, wenn mein Versuch, irgendwo dazuzugehören, mal wieder gescheitert war
(die Autismus-Diagnose als Erklärung bekam ich erst sehr viel später).
Ich habe mich oft gefragt, was ich falsch mache, warum mir Anpassung nie gelingt
und warum fast immer eine Art Glaswand zwischen mir und anderen Menschen ist.
Warum ich nie einen Freundes-und Bekanntenkreis aufbauen konnte,
mir irgendein Fitzelchen Sozialstruktur erschaffen.
Und ganz besonders unter vielen Menschen fühlte ich mich erst recht einsam.
Diese blöde Spruch: Du muszt mal mehr unter Leute gehn!
hat auf mich einfach nie zugetroffen.
Allerdings war ich jung und konnte mich besser damit arrangieren.
Ich lernte, sehr eigenständig zu leben, unabhängig von der Meinung anderer
Menschen zu werden (was nicht leicht war und sehr viel Anfeindung mit sich brachte!)
- ohnehin war ich offenbar nicht so sehr auf Beachtung
und Wertschätzung durch andere angewiesen. Mir eher selbst genug.
Ich habe gelernt, für mich selbst gut zu sorgen und Entscheidungen ganz alleine
für mich zu treffen. Ich brauche da niemandes Rat!
Es wurde selbstverständlich, mir in jeder Hinsicht selber zu helfen
(um Hilfe zu bitten, das habe ich nie gebracht)
Insofern kann Einsamkeit auch unabhängig und stark machen,
auch wenn einem der Weg dahin durch andere nicht leicht gemacht wird.
*
Es gibt so viele Ratgeber und Tips, um Einsamkeit zu überwinden,
die offenbar immer mehr Menschen schmerzhaft betrifft.
Wer lebenslängliche Gefährten verliert, hat es dabei ganz sicher schwer.
Und ich denke, solche Tips sind auch nicht für jeden geeignet.
Man soll Kontakte knüpfen und halten, Freundschaften pflegen - schön und gut!
Aber was ist mit Menschen, die einfach keine Kontakte knüpfen können?
Da ist nichts zu halten, da fehlt einfach jede soziale Struktur!
Was ist mit Menschen, die systematisch ausgegrenzt werden, weil sie nirgendwo
hineinpassen und das soziale Gefüge von Gruppen ins Wanken bringen?
Betrifft bestimmt nicht nur mich und die Gründe können dafür
ganz sicher sehr vielfältig sein.
Da bleibt einem nur, die eigene Stärke in aller Stille aufrecht zu erhalten
(wie weit das in fortgeschrittenem Alter klappt, kann ich jetzt, mit 64, noch
nicht wirklich beurteilen) und geistig wach zu bleiben,
geistige Interessen zu pflegen.
Das kann sehr viel helfen, habe ich die Erfahrung gemacht.
Einsamkeit in Alleinsein umwandeln, um ungehindert das zu tun,
was man selbst gern möchte. Die eigenen Fähigkeiten und Stärken erkennen.
Sich selbst lieben und wertzuschätzen, wenn kein anderer da ist, der es tut.
Und es ergeben sich schon immer wieder kleine Momente,
in denen man anderen ein Licht und ein Segen sein kann, ganz unerwartet.
Augen offen halten, aber selbst nichts erwarten, ist meine Erfahrung.
*
Was ich mir von der Gesellschaft, bzw. von den braven Kleinstadtbewohner:innen
wünsche, ist weniger Bewertung und Ausgrenzung, mehr Offenheit und
Akzeptanz für unverstandene Eigenheiten.
Das könnte es für manchen wohl etwas leichter machen.
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