Was spielst Du und warum? - fragt Ilka Kind in ihrer Blogparade. Kurz vor Toresschlusz hab ich das glücklicherweise noch gesehn.
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"Geh raus, geh spielen!" war einer der alltäglichen Sätze meiner Kinderzeit.
Sagt das eigentlich heute noch irgend jemand zu einem Kind?
Ich sehe jedenfalls drauszen nur selten spielende Kinder.
Auf dem Spielplatz vielleicht, in Begleitung von Eltern oder Kindergärtnerin.
Wir durften seinerzeit viel unkontrollierter herumtoben. Nahmen Straszen,
Spielplätze, Höfe und Gärten einfach in Besitz.
Da wurde durch Zaunlücken von einem Garten in den nächsten gejagt.
Damals beschwerte sich darüber auch kaum jemand.
Der "Pionierpark" mit seinen Bäumen und Büschen, den Klettergerüsten
und anderen Spielgeräten war immer gut besucht. Die nahe gelegene
Spielstrasze ohne Autoverkehr auch.
Gruppen-Singspiele waren Anfang der 60er bereits im Niedergang.
Ich hörte noch einige auf der Spielstrasze, als ich selbst dafür noch zu klein war.
"Ein wunderschönes Mädchen, Mareike genannt,
das hatte sich verliebet in Micha seine Hand... "
Was sich davon am längsten hielt, war wohl "Es kamen zwei vom Kaffeklatsch"
Eine Art Sing-Sprech-Spiel mit eindeutigem Tratsch-Bezug...
Abzählreime wurden für viele Spielanfänge gebraucht und
"Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser?" war damals auch noch beliebt.
Der Fischer auf der anderen Straszenseite sagte dann eine Meterzahl.
Nächste Frage der Gruppe: "Wie kommt man da rüber?"
Da gab es dann Ratschläge wie "auf einem Bein hüpfen", "auf allen Vieren",
"Fliegen", "schwimmen" etc.
Dann hüpften oder rannten alle rüber, Schwimmbewegungen imitierend
und der Fischer versuchte Kinder einzufangen.
Die blieben dann auf seiner Seite und waren Fänger beim nächsten Mal.
Das letzte ungefangene Kind wurde dann Fischer und es begann alles von vorn.
In Dreierkonstellationen wurde gern "Mutter, Vater, Kind" gespielt.
Das mochte ich überhaupt nicht, denn die sozialen Dinge verstand ich nicht gut.
Dafür bekam ich ständig Anweisung: Du muszt jetzt dies, Du muszt jetzt das...
aber sowas gefiel mir nicht und ich flüchtete meist schnell.
Gummitwist oder Huppekasten spielte ich gern, das waren die leiseren Spiele.
Zwei Kinder hielten eine Gummischlinge um die Beine gespannt,
ein Drittes hüfte über die Fäden. Verschieden hoher Schwierigkeitsgrad.
Oder durch die mit Kreide auf den Asphalt gezeichneten Kästchen springen,
ohne auf die Linien zu treten. Da gab es auch Sprünge von einfach bis kunstvoll...
"Abnehmen" mochte ich auch. Das war ein Finger-Fadenspiel
zwischen mindestens zwei Kindern.
Ansonsten waren mir die Spiele der andern teils unverständlich, teils zu laut.
"Räuber und Polle" ging grad noch und manchmal war mir nach Toben
und Verstecken spielen mochte ich auch.
Meine Verstecke waren oft sehr kreativ und dienten nicht selten dem unauffälligen Verschwinden aus der Gruppensituation. Wenns mir zuviel wurde.
Ich war halt gerne allein, verkrümelte mich ins Gebüsch oder auf die noble Sandsteinterrassentreppe des Pionierhauses (alte schloszartige Fabrikantenvilla).
Lief rauf bis zum Pferdestall.
Dachte mir etwas aus, redete mit imaginären Naturgeistern.
"Wenn es läutet", muszten alle Kinder heim. Das war um 18:00,
ich weisz nicht mehr warum, aber da läuteten immer die Kirchenglocken.
Uhren hatten wird Kinder noch nicht und viele konnten sie auch noch nicht lesen.
Ich war manchmal so vertieft, dasz ich das Läuten schlicht überhörte
und dann gab es Ärger. Aber auch nicht gar so schlimm.
Ich war gern drauszen. Bei fast jedem Wetter.
Lief auch oft in den Wald zu einem hohlen Baum.
Das durfte ich auch. Ganz alleine.
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Gesellschaftsspiele kenne ich kaum.
Als ich klein war, spielten meine Groszeltern mit mir "Mensch-ärgere-dich-nicht"
und "Spitz pasz auf!" - auch so ein heute vergessenes Würfelspiel.
Ich ging noch nicht zur Schule, da brachte mir Opa Schachspielen bei
und wir spielten so manche Partie.
Ob ich die Regeln beherrschte und richtig anwandte, kann ich nicht mehr sagen.
Ich hab es seitdem auch nie wieder gespielt.
Opa baute mir mehrmals einen Drachen, ich bemalte ihn bunt.
Wenn einer wegflog, war ich immer traurig...
In meinem Elternhaus galten Familien-Brettspiele als Zeitverschwendung.
Da wurde lieber "etwas Sinnvolles" getan, statt die Zeit zu vertrödeln.
Genau so war es auch mit den Puzzles, die uns gelegentlich ein Onkel "vom Westen" mitbrachte. Mutter fand sowas doof und liesz die Kästen sofort nach seiner Abreise
verschwinden (bei einem Trödelhändler gab es dafür relativ viel Geld).
So bin ich niemals in den Genusz des Puzzelns gekommen bzw. habe diese
Beschäftigung erst kurz vor meinem 60. Lebensjahr endlich entdeckt
(und höre im Geiste immer noch Mutters Miszbilligung ob solcher
Zeitverschwendung). Aber davon später.
Abends vorm Schlafengehn wurde bei uns meist vorgelesen.
Ich konnte es zwar bald selbst, aber mein jüngerer Bruder noch nicht.
Mit seiner LRS war er auch noch lange nach Einschulung darauf angewiesen.
Und daraus entwickelte sich dann das Bücher-Raten.
War die Familie einmal vollzählig zu einer Mahlzeit versammelt
und es hatte grad mal niemand vorher Streit, schlechte Laune oder Schweigezeit...
ging das Raten während des Essens munter hin und her.
Einer zitierte einen Satz aus einem Buch und wer es erriet,
durfte das nächste Zitat bringen.
Nicht selten wurden dann auch noch die Bücher geholt, um die Korrektheit
nachzuprüfen und es endete oft in erneutem Vorlesen.
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Ich später allein habe kein einziges Gesellschaftsspiel gespielt.
Mir fehlten die Mitspieler, einen Freundeskreis, der sich zu Spieleabenden traf,
hatte ich nie und ich fand auch immer andere Beschäftigung.
Eingedenk Mutters "in der Zeit kannste was Sinnvolleres machen".
Ich weisz bis heute nicht, was es da jetzt alles für Spiele gibt.
Das hat mich auch nie wirklich interessiert.
Ich habe meinen Spieltrieb ganz selbstverständlich in den Alltag integriert.
Da kann ich schon manchmal allerhand harmlosen Blödsinn machen
oder spielerisch mit Farben umgehen, ob in Kleidung oder Dekoration.
Wortspiele, Schüttelreime, Schattenspiele mit den Händen - mir fällt
so manches ein, worüber spieszig gewordene Altersgenossen
verständnislos mit dem Kopf schütteln.
Ein spielerisch-kreativer Alltag ist für mich das A und O zum Überleben.
in denen meine stofflichen Hausgenossen das Wort führen.
Die leben auch ganz selbstverständlich bei mir.
An Gedulds-und Geschicklichkeitsspielen wie Schiebefax oder irgendwas mit Kugeln... habe ich bis heute gelegentlich Freude.
Solche Sachen mochte ich schon immer gern.
Ein PC-Spiel, Gameboy, Tamagotchi und was es da gab und gibt...
hat mich dagegen nie gereizt.
Mit fast Sechzig habe ich dann doch noch meine Liebe zum Puzzeln entdeckt.
Das ist spannend und entspannend zugleich.
Kann ich oft gar nicht wieder aufhören!
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Die Spielekultur hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt.
Mit Aufkommen von TV und später PC, Spielekonsolen und Smartphone
ist viel Kurzweil von früher in Vergessenheit geraten.
Die Zeiten ändern sich.
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Zum Abschlusz noch zwei Reim-Rätsel,
die vermutlich aus der Biedermeierzeit stammen:
I
Ein jeder hat's
im Grabe ruht's
der Herr befiehlt's
der Kutscher tut's.
II
Vereint sollt's jedes Mädchen haben.
Entzweit darf's fehlen keinem Knaben.
Solche Rätsel kannte ich in meiner Kindheit noch viele.
Heute hätte ich gern ein Buch voll damit...
Auflösung: I - Vorfahren, II - Anmut